Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 5. Geschichtliche Entwicklung des d. bürgerl. Rechts. 11 
Landesordnung (1571), das württembergische Landrecht (1610), die nürnberger Reformation 
(1479, 1564), die frankfurter Reformation (1509, 1578), das revidierte lübische Stadtrecht 
(1586), die neuen hamburger Statuten (1605) sowie zahlreiche Einzelgesetze über den Erwerb 
des Grundstückseigentums, den Viehhandel, das eheliche Güterrecht in Betracht. 
II. Für die Rechtsbildung in dieser Zeit war zumeist der Gegensatz des 
rezipierten Fremdrechts zu dem alteinheimischen Recht bestimmend; ein wirklich 
neues, selbständig gefundenes Recht kam weit seltener in Frage. 
1. Die gelehrten Juristen wollten dem Fremdrecht eine immer größere 
Geltung verschaffen. In der eigentlichen Rezeptionszeit nämlich stand das 
Fremdrecht zunächst nur im Hintergrunde: wie oben festgestellt, sollte jeder 
heimische Rechtssatz, wenn seine Geltung nur klar erweislich war, den Vorrang 
vor dem Fremdrecht haben. Damit waren aber die Gelehrten auf die Dauer 
nicht zufrieden. Das römische Recht erschien ihnen so unendlich erhaben über 
dem deutschen, daß sie jede Abweichung von den römischen Regeln zugunsten 
der deutschen für eine Barbarei erachteten; außerdem war die gleichzeitige Hand- 
habung zweier Rechtssysteme nicht bequem und die Rücksichtnahme auf das 
heimische Recht, das man weder auf den Universitäten noch aus gangbaren 
Büchern lernen konnte, schwierig; auch war die Rechtseinheit, die man der 
Rezeption verdankte, wenig nutz, wenn dem einheitlichen Fremdrecht die zer- 
splitterten deutschen Regeln vorgezogen wurden. So ging man dazu über, das 
Fremdrecht aus seiner subsidiären Stellung herauszuziehn und das heimische 
Recht möglichst zu beseitigen. 
Allerdings verfuhr man dabei nicht radikal. Man ließ also die Regel, daß das 
Fremdrecht nur subsidiär gelten solle, in der Theorie ruhig fortbestehn. Aber man machte 
jedesmal, wenn das Vorzugsrecht einer einheimischen Regel praktisch werden sollte, die 
größten Schwierigkeiten. Die Partei, der eine einheimische Regel zugut gekommen wäre, 
mußte sich ausdrücklich auf sie berufen, als ob der Satz jura novit curia (das Gericht kennt 
das Recht und braucht also von den Parteien nicht darauf aufmerksam gemacht zu werden) 
bloß für das Fremdrecht und nicht gerade ganz besonders für das einheimische Recht Geltung 
hätte. Die Partei mußte die einheimische Regel sogar ganz bestimmt formulieren, derart, 
daß sie zu dem System der römischen Rechts= und Klagkategorien paßte; brachte sie also 
die Regel etwa in der altgewohnten Form eines Sprichworts vor, so hatte sie meistens nur 
auf den Spott von Gericht und Advokaten zu rechnen. Die Partei mußte ferner die Geltung 
der Regel beweisen, und zwar die Geltung durch die Verjährungszeit hindurch, und erfuhr 
auch bei der Würdigung dieses Beweises eine pedantische, oft übelwollende Behandlung seitens 
der Gerichte. Auf diese Weise wurde eine deutsche Rechtsregel nach der andern tatsächlich 
außer Anwendung gesetzt. So ist z. B. in Württemberg das gesamte ältere deutsche Recht, 
soweit es nicht im württembergischen Landrecht besonders aufrecht erhalten war, in der Praxis 
einsach beseitigt worden, obschon das Landrecht dies keineswegs angeordnet hatte.: Noch 
vollständiger hat der Gerichtsgebrauch das deutsche Recht z. B. in den reichsritterschaftlichen 
Besitzungen auf dem hessischen Vogelsberge und in einzelnen geistlichen Herrschaften, z. B. 
dem Bistum Augsburg, vertrieben. 
2. In einzelnen Gegenden Deutschlands war aber die Praxis gegenüber 
dem Fremdrecht minder gefügig. Zwar die Rezeption des Fremdrechts ganz 
und gar auszuschließen oder rückgängig zu machen, wagte man nirgends. Aber 
man machte in diesen Gegenden wenigstens ernst mit dem Satz, daß das 
2) Wächter, württemb. Privatr. 1 S. 1072.
	        
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