274 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
I4. Stellvertretung.
a) Allgemeines.
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I. Stellvertretung liegt vor: aktiv, wenn jemand eine rechtsgeschäft-
liche Willensäußerung als Vertreter eines andern abgibt; passiv, wenn eine
rechtsgeschäftliche empfangsbedürftige Willensäußerung gegenüber jemandem als
Vertreter eines andern abgegeben wird.
1. a) Die aktive Stellvertretung setzt ein Doppeltes voraus: der Ver-
treter gibt eine rechtsgeschäftliche Willensäußerung in der Weise ab, daß er
einerseits die Außerung als seine eigne Außerung vorbringt, andrerseits den
geäußerten Willen nicht als seinen eignen, sondern als den Willen eines
andern gelten läßt. Durch das erste Erfordernis wird die Tätigkeit eines
Vertreters von der eines Boten unterschieden: dieser gibt sich nur als Über-
bringer der Außerung eines andern; was er vorbringt, ist nicht seine eigne
Außerung, sondern eine fremde. Durch das zweite Erfordernis wird die
Tätigkeit eines Vertreters von der einer Selbstpartei unterschieden: diese
äußert einen Willen, der nicht als eines andern, sondern als ihr eigner Wille
gelten soll.
Beispiele. I. A. schreibt an B.: „ich möchte gern von der Zigarre, die ich neulich
bei Dir geraucht, 1000 Stück haben, weiß aber nur, daß sie Figaro hieß, während mir
der Name des Lieseranten entfallen ist: fülle also bitte auf beifolgender Bestellkarte die
Adresse aus und schicke die Karte weiter“. Wenn B. dieser Bitte nachkommt, handelt er als
Bote A.S. II. Derselbe Fall wie zu I; nur hat A. vergessen, die Bestellkarte beizufügen:
B. schreibt deshalb selber eine Bestellkarte folgenden Wortlauts: „Im Auftrage meines
Freundes A. bestelle ich hiermit in seinem Namen 1000 Stück Figaros. B.“ Hier handelt
B. als Stellvertreter A.S. III. Derselbe Fall wie zu II; nur will gerade damals B. auch
für sich selbst Zigarren bestellen und schreibt die 1000 Figaros einfach auf seine eigne Be-
stellkarte, ohne A.S Namen zu erwähnen: der Händler soll eben die Figaros zunächst ihm
selber schicken, und er will sie dann an A. weiter liesern. Hier handelt B. als Selbstpartei.
Ein „Bote“ trägt eine Außerung als eine fremde auch dann vor, wenn es erkennbar ist,
daß er die Worte, in die er seine Außerung kleidet, selber gewählt hat, vorausgesetzt nur,
daß er die Worte erkennbar nicht als seine eignen, sondern als die Worte eines andern ge-
wählt hat. Ja, er bleibt Bote auch dann, wenn er auch den Inhalt seiner Außerung er-
kennbar selbst gebildet hat, vorausgesetzt nur, daß seine Außerung, obschon ihr Inhalt und
also auch ihre Form von ihm selbst herrührt, erkennbar eine fremde sein soll. Wenn bei-
spielsweise der sechsjährige A. dem Delikatessenhändler B. bestellt: „meine Mutter läßt sagen,
daß sie ein halb Kilo Schinken haben will; ich soll aussuchen, ob rohen oder gekochten;
geben Sie rohen“, so überbringt er dem B. die mütterliche Bestellung nur als Bote; daß
1) Biermann, Gießener Festgaben für Dernb. (00); Schloßmann, L. v. d. Stellv.
(00, 02); Fleck, Arch. f. BR. 15 S. 337; Hupka, Vollmacht (00); Eccius bei Gruchot 47
S. 209; Rümelin, Arch. f. ziv. Pr. 93 S. 131; Wieland, ebenda 95 S. 161; Riezler,
ebenda 98 S. 372; Bekker, Jahrb. f. Dogm. 49 S. 1; Seeler, Arch. f. BR. 28 S. 1; Isay,
Geschäftsführung (00); Müller-Erzbach, Grundsätze der mittelb. Stellvertretung (05); Aßmann,
Rechtsstellung des Boten (06); Rosenberg, Siellvertretung im Prozeß (08); v. Tuhr, un-
widerrufl. Vollmacht, in der Straßburger Festschrift f. Laband (08).