Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

12 Einleitung. 
Fremdrecht bloß subsidiäre Geltung habe. Die Parteien wurden nicht müde, 
immer und immer wieder die heimischen Regeln den Gerichten vorzutragen 
und ihre gewohnheitsrechtliche Geltung und somit auch ihren Vorrang vor dem 
Fremdrecht darzutun, und auch die Gerichte kamen diesem Bestreben gern ent- 
gegen. So bewahrte man sich hier, namentlich in den Gebieten des obersäch- 
sischen Rechts und in den Hansestädten, einen verhältnismäßig bedeutenden 
Schatz deutschen Rechts. Ja im Laufe der Zeit gewann dies Bestreben an 
Boden. Eine deutschrechtliche Reaktion begann. Immer mehr deutsche Regeln 
oder Rechtsinstitute, die schon vor dem Fanatismus der Doktoren ins Weichen 
gekommen waren, traten wieder in Geltung. 
3. Die Gesetzgebung der Zeit behauptete gegenüber dem Kampf zwischen 
fremdem und deutschem Recht begreiflicherweise eine sehr verschiedene Haltung. 
Überwiegend stand sie unter der Herrschaft der fremdrechtlichen Juristen und 
begünstigte deshalb das Fremdrecht. Am durchgreifendsten tat sie dies, wenn 
sie eine kleine Reihe ausgewählter deutscher Regeln ausdrücklich als fortgeltend 
bestätigte, dafür aber den ganzen Rest deutschen Rechts, der in das Gesetz nicht 
aufgenommen war, in Bausch und Bogen beseitigte. Andrerseits haben einige 
deutsche Gesetze auch wieder am deutschen Recht festgehalten und namentlich 
für das eheliche Güterrecht, den Eigentumserwerb an Grundstücken, das Pfand- 
recht manche bereits durch das römische Recht verdrängte deutsche Vorschrift 
wieder in Geltung gesetzt. 
Beispiele romanistischer Landesgesetze sind das Nassau-Catzenellubogner Recht (1616), 
die Solmser Gerichts= u. Landesordnung (1571), die Landrechte der drei geistlichen Kurfürsten- 
tümer. Von Gesetzen, die dem einheimischen Recht freundlich waren, seien die kursächsischen 
Decisionen aus dem 16. u. 17. Ihd. genannt. 
III. Die juristische Literatur hat in dieser Zeit an Umfang sehr gewonnen. Anfangs 
beschäftigte sie sich freilich fast nur mit dem Fremdrecht; doch nahmen viele der juristischen 
Schriftsteller vorzugsweise auf die Handhabung des Fremdrechts in der Praxis der heimischen 
Gerichte Rücksicht, stellten also das römische Recht in seiner spezifisch deutschen Anwendungs- 
sorm dar; als Beispiele seien hier nur zwei Bearbeiter der Urteile des Reichskammergerichts, 
Mynsinger (T 1568) und Gaill (7 1587), erwähnt. Erst sehr allmählich gingen dann die 
romanistischen Schriftsteller dazu über, das deutsche Recht, wic es sich aus dem Zusammen- 
wirken des rezipierten Fremdrechts mit den in Geltung gebliebenen altdeutschen Regeln und 
neueren Gewohnheiten und Gesetzeen gebildet hatte, im Zusammenhang darzustellen; im 
Gegensatz zum reinen römischen Recht nanute man dies Mischrecht „usus modernus pan- 
dectarum“; zu den Schriftstellern dieser Richtung zählten z. B. Carpzov (F 1666) und 
Schilter (7 1705). Manche Juristen widmeten auch einzelnen heimischen Rechtsquellen eine 
gesonderte Darstellung, wie z. B. Mevius 1642 einen Kommentar zum lübischen Stadtrecht 
schrieb. Die Anfänge einer deutschen Rechtsgeschichte sind Hermann Conring (F 1681) zu 
danken. Eine vom römischen Recht getrennte Darstellung des auf einheimischen Quellen be- 
ruhenden deultschen Rechts gab zuerst Beyer (C.1714) in seinen Vorlesungen. 
d) Die Neuzeit. 
86. 
I. Die Neuzeit wird durch eine Reihe juristischer Theorien charakterisiert. 
1. Seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts trat zunächst die natur-
	        
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