Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 67. Innenverhältnis der Vollmacht. Gesetzl. Vertretungsmacht. 287 
nicht aber kann er auch Darlehne zu 6% Zinsen mit dreimonatiger Kündigungsfrist auf- 
nehmen. Und zwar kann L. sich von K. auch dann 6 % Zinsen versprechen lassen, wenn 
K. ihm mitteilt, daß J. ihm in der ersten Vollmacht nur die Bewilligung eines Zinssatzes 
von höchstens 5% gestattet hatte; denn diese Beschränkung ging eben nur die erste, nicht 
auch die zweite Vollmacht an. 
Daraus, daß der Umfang der Vollmacht im Wege freier Auslegung zu bestimmen ist, 
folgt, daß ein Vollmachtnehmer selbst zu den ungewöhnlichsten Geschäften keiner ausdrück- 
lichen „Spezialvollmacht“ bedarf, sondern daß es genügt, wenn sich nur aus den begleitenden 
Nebenumständen ergibt, daß seine Vollmacht sich auch auf diese Geschäfte erstrecken soll. 
1) Die bisher erörterten Regeln betrafen nur das sog. Außenver- 
hältnis der Vollmacht, galten also nur der Frage, ob jemand eine Vollmacht 
für einen andern gegenüber dritten Personen hat und wieweit diese Vollmacht 
gegenüber dritten Personen geht. Dagegen haben wir das sog. Innenver- 
hältnis der Vollmacht unerörtert gelassen, haben uns also mit der Frage, 
ob der Vollmachtnehmer von seiner Vollmacht tatsächlich Gebrauch machen 
darf oder ob er gar von ihr Gebrauch machen muß, nicht beschäftigt, werden 
dies vielmehr erst an späteren Stellen dieses Werks, namentlich in der Lehre 
vom Dienstvertrage und Auftrage, tun. Hier genüge folgende Bemerkung: es 
ist keineswegs sinnlos, wenn das Gesetz bestimmt, jemandem stehe im Außen- 
verhältnis eine gewisse Vollmacht zu, und dann hinzufügt, daß er im Innen- 
verhältnis keinen Gebrauch von dieser Vollmacht machen dürfe; vielmehr ist 
der Sinn einer solchen Doppelregel dieser: wenn der Vollmachtnehmer ein 
Rechtsgeschäft vornimmt, das im Außenverhältnis unter seine Vollmacht fällt, 
dessen Vornahme ihm aber im Innenverhältnis untersagt ist, so ist das Rechts- 
geschäft dem Dritten gegenüber gültig, der Vollmachtnehmer aber, falls ihm 
ein Verschulden zur Last fällt, dem Vollmachtgeber persönlich zu Schadens- 
ersatz verpflichtet.? 
Beispiel. A. gibt dem Agenten B. mündlich Vollmacht, einen alten Kunstschrank für 
500 Mk. zu verkaufen, setzt aber gleich hinzu: „geben Sie sich Mühe, mehr zu erzielen“; 
B. sagt dies auch zu, gibt sich aber tatsächlich keine Mühe, sondern verkauft den Schrank 
sofort für 500 Mk. an C., obschon dieser, wie er nachträglich selbst einräumt, ohne Bedenken 
das Doppelte gegeben haben würde. Hier ist der Verkauf des Schranks für A. verbindlich; 
B. muß ihm aber 500 Mk. Schadensersatz zahlen. Denn B. hat mit dem Verkauf seine 
Vollmacht nicht überschritten; er hat aber von ihr in schuldhaft pflichtwidriger Art Gebrauch 
gemacht. 
2. Außer durch Rechtsgeschäft und rechtsgeschäftsähnliche Akte kann eine 
Vertretungsmacht auch kraft Gesetzes oder durch Akt der Obrigkeit geschaffen 
werden. Sie wird alsdann gesetzliche Vertretungsmacht, der Vertreter 
wird gesetzlicher Vertreter genannt, während es an einem gemeinsamen 
Namen für den Vertretenen in diesem Fall fehlt. 
a) Die Art der Begründung der gesetzlichen Vertretungsmacht ist sehr 
verschieden. So erlangt eine gesetzliche Vertretungsmacht die Ehefrau gegen- 
über dem Ehemann mit der Eheschließung (sog. Schlüsselgewalt), die Eltern 
9) Siehe oben S. 260, Sa.
	        
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