Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

302 Buch I. Abschnitt 5. Verschulden und Zufall. 
Beispiel. A. geht nach einer Gesellschaft irrtümlich mit den Gummischuhen des B. 
nach Hause. Der Regel nach ist dies grobe Fahrlässigkeit, wenn die Gummischuhe B.s von 
den seinigen ganz verschieden, leichte Fahrlässigkeit, wenn sie den seinigen sehr ähnlich, gar 
keine Fahrlässigkeit, wenn sie nicht bloß den seinigen sehr ähnlich, sondern wenn außerdem 
von einem andern die Plätze der Gummischuhe vertauscht waren. 
III. 1. Der häufigste und wichtigste Fall schuldhaften Verhaltens im 
Rechtsleben ist der der schuldhaften Verletzung fremder Rechte. 
a) Die vorsätzliche schuldhafte Verletzung fremder Rechte setzt voraus, daß 
der Schuldige das Vorhandensein des von ihm verletzten Rechts zur Zeit der 
Tat gekannt und daß er nicht geglaubt hat, ein das verletzte Recht durch- 
kreuzendes stärkeres Gegenrecht zu haben, kraft dessen er zu seiner Handlung 
befugt gewesen wäre. 
b) Für die fahrlässige Verletzung fremder Rechte gilt diese Voraus- 
setzung nicht: jene kann vorhanden sein, auch wenn der Schuldige nichts von 
dem Recht wußte, das er verletzt hat, oder wenn er sich irrtümlich ein Gegen- 
recht zuschrieb, kraft dessen er das fremde Recht hätte verletzen dürfen; nur 
muß dann jene Unkenntnis oder dieser Irrtum gleichfalls fahrlässig ge- 
wesen sein. 
Beispiel. A. pflückt Erdbeeren im Walde B.s. Hier ist das Verhalten A.S an und 
für sich ein vorsätzliches. Trotzdem enthält es keine „vorsätzliche“ Rechtsverletzung gegen B., 
falls A. sich irrtümlicherweise einbildet, B. habe ihm das Pflücken der Erdbeeren erlaubt. 
Wohl aber kann, wenn A.#s Irrtum ein leichtfertiger war, in A.# Verhalten eine „fahrlässige“ 
Rechtsverletzung gegenüber B. liegen. 
2. Außer der schuldhaften Verletzung fremder Rechte können aber auch 
andre Fälle schuldhaften Verhaltens rechtlich bedeutsam werden. Eine große 
Rolle im Rechtsleben spielt namentlich die schuldhafte Verletzung eigner Inter- 
essen, das Verschulden gegen sich selbst.5 
Beispiele. I. A. versäumt schuldhaft eine ihm zur Wahrung seiner Rechte gesetzte 
Frist (121 1). II. B. unterläßt es schuldhaft, den C., dem er Sachen zur Aufbewahrung 
übergeben hat, auf die Zerbrechlichkeit oder den hohen Wert der Sachen aufmerksam zu 
machen (254). III. D. gerät durch schuldhaft schlechte Wirtschaftsführung in Vermögens- 
verfall (1611 1). 
IV. Ist ein Verschulden als solches rechtswirksam, so besteht seine recht- 
liche Wirkung immer darin, daß den Schuldigen ein Rechtsnachteil trifft: bald 
muß der Schuldige dem, den er geschädigt hat, Schadensersatz oder Strafe 
zahlen; bald verwirkt er ein ihm sonst zustehendes eignes Recht, sei es, daß er 
es gar nicht erst erwirbt, sei es, daß er es nachträglich verliert; bald wird 
ein von ihm abgeschlossenes Geschäft, das sonst gültig wäre, nun, da er schuld- 
haft gehandelt hat, ungültig oder umgekehrt. Welcher dieser Rechtsnachteile im 
Einzelfall eintritt und welches seine Voraussetzungen sind, läßt sich nicht all- 
gemein bestimmen. Immerhin sind folgende Regeln schon hier zu erwähnen. 
1. a) Es gibt Fälle, in denen jemandem nur vorsätzliches Verschulden 
8) Zitelmann, Grundriß S. 166.
	        
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