Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 71. Haftung für Verschulden. 303 
zugerechnet wird, während er für Fahrlässigkeit, und sei sie noch so gröblich, 
nicht aufzukommen braucht. 
b) Es gibt Fälle, in denen jemandem sowohl vorsätzliches Verschulden 
wie grobe Fahrlässigkeit zugerechnet wird, während er für leichte Fahrlässigkeit 
nicht aufzukommen braucht. 
e) Es gibt Fälle, in denen jemandem sowohl vorsätzliches Verschulden 
und grobe Fahrlässigkeit wie auch diejenige leichte Fahrlässigkeit, die er in 
seinen eignen Angelegenheiten gewöhnlich zu vermeiden pflegt, zugerechnet wird, 
während er für eine leichte Fahrlässigkeit, die er sich in eignen Angelegen- 
heiten regelmäßig gestattet, nicht aufzukommen braucht (s. 277). Man sagt 
in Fällen dieser Art, in denen neben der allgemeinen Verkehrssitte auch die 
individuellen Gepflogenheiten des Schuldigen als Maßstab für die von ihm 
aufzuwendende Sorgfalt dienen, daß er „diligentia quam suis“ prästieren 
müsse oder auch daß er für „culpa in concreto“ hafte. 
4) Es gibt endlich Fälle, in denen jemandem sowohl vorsätzliches Ver- 
schulden wie Fahrlässigkeit, und sei sie noch so leicht, zugerechnet wird. Und 
zwar bilden diese Fälle die Regel: wo immer das Gesetz jemandem ein Ver- 
schulden zurechnet, ist darunter auch die leichteste Fahrlässigkeit miteinbegriffen, 
es sei denn, daß das Gesetz das Gegenteil bestimmt hat (s. 276 . 
Beispiele. I. 1. a) Nur für Vorsatz haftet ein Schuldner, dem sein Gläubiger vertrags- 
mäßig jede Haftung für Verschulden erlassen hat; denn dieser Erlaß bezieht sich zwar auf 
alle Arten der Fahrlässigkeit, nicht aber auch auf vorsätzliches Verschulden (276 II). b) Nur 
für eine bestimmte Art des vorsätzlichen Verschuldens, nämlich nur für Arglist, haftet, wer 
einem andern eine fehlerhafte Sache schenkt und ihm dabei den Fehler verschweigt (524 I). 
2. Für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftet der Finder einer Sache dem Empfangs- 
berechtigten (968). 3. Für Vorsatz, grobe und diejenige leichte Fahrlässigkeit, die er in eignen 
Angelegenheiten zu vermeiden pflegt, haftet der Ehemann der Ehefrau bei der Verwaltung des 
ehefräulichen Vermögens (1359, 277). 4. Für Vorsatz und jede Fahrlässigkeit haftet der Vor- 
mund seinem Mündel bei der Verwaltung des Mündelvermögens (1833, 276 1I). II. 1. Dem 
A. werden 10000 Mk., die seiner Ehefrau gehören, aus seinem gut verschlossenen Schreib- 
tisch gestohlen; sie lagen schon drei Tage dort, weil A. es immer wieder vergaß, sie zum 
Bankier zu bringen. Hier liegt eine Fahrlässigkeit A.,s vor; denn so große Geldsummen behält 
ein ordentlicher Mensch nicht längere Zeit im Hause. Die Fahrlässigkeit ist aber, da es sich 
nur um drei Tage handelte und der Schreibtisch A.s gut schloß, nur eine leichte. A. ist 
also seiner Frau nur dann ersatzpflichtig, wenn er sein eignes Geld sorgfältiger zu behandeln 
pflegt. 2. Derselbe Fall; nur hatte A. den Schreibtisch nicht verschlossen; der Diebstahl ist 
von A.3 Dienstmädchen ausgeführt, dessen Unzuverlässigkeit dem A. bekannt war. Hier ist 
die Fahrlässigkeit A.ä eine grobe; A. ist also seiner Frau sogar dann ersatzpflichtig, wenn 
er mit seinem eignen Gelde ebenso nachlässig umzugehn pflegt. 
2. In manchen Fällen läßt das Gesetz einen Rechtserwerb, der an und 
für sich mit einem Mangel behaftet war, trotzdem als vollwirksam zu, wenn 
der Erwerber „gutgläubig“ war, d. h. wenn ihm ohne grobe Fahrlässigkeit die 
Mangelhaftigkeit seines Erwerbes unbekannt geblieben ist; in diesen Fällen stellt 
also das Gesetz der Kenntnis jenes Mangels eine auf grober Fahrlässigkeit 
beruhende Unkenntnis gleich. In andern Fällen wird der Kenntnis sogar 
eine auf leichter Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis gleichgestellt; dann spricht
	        
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