Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 72. Haftung für Zufall. 309 
kauft; gleich nachdem er es dem E. übergeben hat, wird es durch einen Bergrutsch zerstört. 
Hier ist der Unfall sowohl für D. wie für E. ein „Zufall“. Doch wird nur E. von dem 
Zufall „betroffen“. Denn D. kann von E. trotz des Unfalls den vollen für das Haus be- 
dungenen Kaufpreis fordern (446). 
II. Die einzelnen hierhergehörigen Rechtsregeln lassen ein festes Prinzip 
vermissen: sie sind in höchstem Maß planlos und willkürlich, als hätte der 
Gesetzgeber sie nicht ausgewählt, sondern ausgewürfelt. Von allgemeinerer 
Bedeutung sind die folgenden. 
1. In einigen Fällen haftet jemand für den Schaden, den er durch sein 
eignes Verhalten anrichtet, dem Geschädigten auch dann, wenn dies Verhalten 
kein schuldhaftes ist, nämlich: 
a) wenn er eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung in der Er- 
wartung abgibt, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden 
(118, 122); 
b) wenn er eine Willenserklärung, die er abgegeben, wegen Irrtums 
oder wegen unrichtiger Übermittlung anficht (119, 120, 122); 
) wenn er ein Rechtsgeschäft als Vertreter eines andern vornimmt oder 
sich gegenüber vornehmen läßt, ohne Vertretungsmacht für den andern zu 
haben (179, 180); 
4) wenn er unrechtmäßig zur Selbsthülfe greift (231); 
e) wenn er die Anordnung ungerechtfertigter Arreste oder einstweiliger 
Verfügungen erwirkt (ZPO. 945); 
f) wenn er aus einem vorläufig vollstreckbaren, später aufgehobenen Ur- 
teil die Zwangsvollstreckung betreibt (ZPO. 717 II); 
g) wenn er im Zustande der Unzurechnungsfähigkeit eine Handlung be- 
geht, die ein Delikt sein würde, wäre er zurechnungsfähig gewesen (829). 
Beispiele siehe oben S. 258, 296. 
Die Regeln zu 1 geben selbstverständlich zu vielen Zweifeln Anlaß. I. Bei der Regel 
zu c ist bestimmt, daß die Haftung des Pseudovertreters fortfällt, wenn er beschränkt ge- 
schäftsfähig war und ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. Das- 
selbe ist für die Fälle a und b und wohl auch für die Fälle d—f anzunehmen. II. Bei 
den Regeln a—f wird die Haftung auch Platz greifen, wenn nicht der Haftpflichtige selbst, 
sondern ein Vertreter mit Vertretungsmacht für ihn gehandelt hat; bei den Regeln zuc 
und d ist dies freilich schwierig zu begründen. 
2. In einigen Fällen haftet jemand für den Schaden, den andre Per- 
sonen schuldhaft anrichten, dem Geschädigten auch dann, wenn er an dem Ver- 
halten der andern persönlich nicht mitschuldig ist; der hierhergehörige Haupt- 
fall — Haftung des Schuldners für seinen gesetzlichen Vertreter und seine 
Erfüllungsgehülfen (278) — ist bereits im vorigen Paragraphen erwähnt. 
Beispiele siehe oben S. 307. 
3. In einigen Fällen haftet jemand für den Schaden, den Tiere an- 
richten, dem Geschädigten auch dann, wenn er an dem Schaden persönlich 
nicht schuldig ist (833). 
Beispiele siehe unten 8 166.
	        
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