Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 72. Haftung für Zufall bis zur höheren Gewalt. 311 
übrigens ist der Begriff der Haftung bis zur höheren Gewalt sehr umstritten. Die 
nähere Erörterung der Streitfrage mag aber dem Handelsrecht überlassen bleiben. 
5. In zahlreichen Fällen verwirkt ein Recht oder erleidet einen sonstigen 
Rechtsnachteil, wer eine bestimmte Frist nicht einhält, auch dann, wenn er an 
der Versäumnis der Frist nicht schuld ist (121 II, 124 III, 864 1 usw.). Dabei 
wird aber mitunter eine Ausnahme für den Fall gemacht, daß die Versäumnis 
der Frist durch einen äußeren Zufall der zu 4. genannten Art — man nennt 
ihn auch hier höhere Gewalt — verursacht ist (203 II, 1990). 
Beispiel. A. ist von B. überfallen und derart mißhandelt worden, daß er wochenlang 
besinnungslos daniederlag; dadurch ist es ihm unmöglich gemacht, eine Wandlungs= und 
eine Besipstörungsklage, die er anzustrengen vorhatte, rechtzeitig zu erheben. Hier bleibt 
erstere Klage unverjährt, während letztere durch Fristablauf erlischt; denn seine Mißhand- 
lung durch B., die als höhere Gewalt anzusehn ist, hemmt den Lauf der Verjährungs- 
frist bei der Wandlungs-, nicht aber den Lauf der Ausschlußfrist bei der Besitzklage (s. 
477, 203 II, 864 1). 
6. In zahlreichen Fällen bleibt ein Schaden, von dem jemand tatsächlich 
ohne seine Schuld betroffen ist, auf dem Geschädigten haften, weil auch alle 
andern Personen an dem Schaden unschuldig sind und deshalb kein rechtlicher 
Anlaß vorliegt, den Schaden auf einen andern abzuwälzen. 
Beispiel. Durch einen Sturm bei dichtem Nebel werden die Schiffe des A. und des 
B. so aufeinandergetrieben, daß sie zusammenstoßen, ohne daß jemand es hätte verhindern 
können; das Schiff des A. erleidet dabei einen Schaden von 60000, das des B. einen von 
3000 Mk. Hier behalten sowohl A. wie B. ein jeder seinen Schaden; denn keiner kann ihn 
auf einen andern abwälzen. 
IV. Zeitablauf. 
1. Gerechnung der Zeit. 
8 73. 
I. Die Zeit kann durch einfachen Hinweis auf den Kalender — sei es 
auf einzelne Kalendertage, sei es auf die im Kalender angegebenen größeren 
Zeiträume (Kalenderwochen, Kalendermonate, Kalendervierteljahre usw.) — be- 
stimmt werden. Der Sinn derartiger Bestimmungen ist unserem, dem grego- 
rianischen, Kalender, unter Zugrundelegung der mitteleuropäischen Tageszeit 
(RGes. v. 12. März 1893), zu entnehmen. 
Beispiele. I. A. ist auf Fastnachtsdienstag 1909 von B. als Lohndiener für einen 
Ball engagiert. Hier muß er bei B. an dem Tage erscheinen, den der gregorianische Kalender 
als den 23. Februar 1909 bezeichnet. II C. darf seine Wohnung bei D. nur auf den 
Schluß einer Kalenderwoche kündigen. Hier muß er die Kündigung auf einen Tag erklären, 
der nach dem gregorianischen Kalender als Ende einer Kalenderwoche gilt, also auf irgend 
einen beliebigen Sonnabend. 
Unter der „Mitte“ eines Kalendermonats soll immer der 15. verstanden werden (192). 
II. Im Gegensatz zu der Rechnung mit Kalenderzeit steht die Rechnung 
mit beweglicher Zeit, insbesondre mit Wochen, die nicht mit einem Sonn-
	        
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