332 Buch I. Abschnitt 5. Verfügungen der Staatsgewalt.
oder unter Umständen im Verwaltungsstreitverfahren zu verfolgendes öffent-
liches Recht.
2. In andern Fällen hängt der Erlaß der Verfügung vom freien Er-
messen des zuständigen staatlichen Organs ab. Dann haben die Beteiligten
kein Recht darauf. Die Verfügung heißt in diesen Fällen Privileg.
Beispiele. I. Nur formelle Bedeutung hat es, daß die Annahme an Kindesstatt erst
mit der gerichtlichen Bestätigung wirksam wird (1741, 1754 II). II. Vom freien Ermessen
der Behörde hängt es ab, ob jemand zur Ausstellung von Geldpapieren auf den Inhaber
ermächtigt wird (795).
II. Besonders wichtig für das Privatrecht sind unter den staatlichen Ver-
fügungen die Enteignungsbeschlüsse. Da indes das Enteignungsrecht
in der Hauptsache auf einem Siege des öffentlichen Rechts über das Privat-
recht beruht, ist seine Darstellung dem Staats= oder Verwaltungsrecht zuzu-
weisen. Hier müssen folgende Andeutungen genügen.
1. Das Enteignungsrecht ist nicht einheitlich geregelt, sondern beruht auf
einer Fülle von Reichs= und Landesgesetzen. Am wichtigsten von diesen sind
die Gesetze, die die Enteignung des Grundbesitzes im öffentlichen Interesse be-
treffen, namentlich das preußische Gesetz vom 11. Juni 1874.
2. Die Enteignung richtet sich vorzugsweise gegen die Grundstückseigen-
tümer: entweder wird ihnen ihr Eigentum geradezu genommen und dafür der
Enteignungsberechtigte zum Eigentümer gemacht, oder sie werden wenigstens
in der Benutzung ihres Eigentums beschränkt. Die Enteignung kann sich aber
auch gegen Personen, die nur ein Recht an einem fremden Grundstück haben,
richten. So werden durch eine gegen den Grundstückseigentümer gerichtete
Enteignung meist die Hypothekengläubiger mitbetroffen: verliert der Eigen-
tümer sein Recht, so gehn auch ihre Rechte unter, weil der Enteignungs-
berechtigte regelmäßig lastenfreies Eigentum erwerben soll; wird der Eigen-
tümer bloß beschränkt, so müssen auch sie die Beschränkung gegen sich gelten
lassen. Daneben kommt aber auch eine Enteignung vor, die sich nur gegen die
Inhaber von Rechten an fremden Grundstücken und nicht gegen den Eigen-
tümer richtet, da sie vielmehr gerade zu des Eigentümers Gunsten erfolgt;
hierher gehört namentlich die Aufhebung „kulturschädlicher“ Dienstbarkeiten bei
der sog. Gemeinheitsteilung.
Ferner kommt eine Enteignung auch bei beweglichen Sachen oder unkörperlichen Gütern
vor; im Kriege werden z. B. den Pferdebesitzern im Notfall ihre Pferde gewaltsam für
militärische Zwecke weggenommen (RGes. v. 13. 6. 73 § 25). Auch Erfindungspatente können
durch Enteignung beschränkt werden (Res. v. 7. 4. 91 § 5 II) usw.
3. Die Enteignung geschieht meist im öffentlichen Interesse. Doch ist
ausnahmsweise die Enteignung auch im Privatinteresse gestattet, namentlich zu
gunsten eines Grundstückseigentümers, dessen Grundstück von allen öffentlichen
Wegen abgeschnitten ist und eines „Notweges"“ bedarf (917).
4. Ein Recht auf die Enteignung besteht nicht; die Ermächtigung zur
Enteignung ist also Privileg. Doch gibt es auch hier Ausnahmen, vor allem
bei der eben erwähnten Bildung eines Notweges.