334 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
mächtig vornimmt, nicht „hinken", sondern schlechthin nichtig sind und daß
Verträge, bei deren Abschluß die Gegenpartei den Minderjährigen für voll-
jährig gehalten hat, auch von der Gegenpartei widerrufen werden können, war
dem bisherigen Recht nicht bekannt.3
6) Anfänglich konnte der Gewalthaber die Erklärung über die Genehmi-
gung des Rechtsgeschäfts beliebig verzögern. Doch hat hier das sächsische
bürgerliche Gesetzbuch und das preußische Gesetz vom 12. Juli 1875 Abhülfe
geschaffen ", indem sie bestimmten, daß der Gewalthaber, der trotz Aufforderung
der Gegenpartei binnen bestimmter Frist keine Erklärung abgab, das Recht zur
Genehmigung verlor.
)) Eine Sondervorschrift für Rechtsgeschäfte, die der Minderjährige mit
den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln erfüllt, war nicht aufgestellt.
6) Auch dann, wenn ein Rechtsgeschäft von dem Minderjährigen mit Ge-
nehmigung des Gewalthabers oder wenn es namens des Minderjährigen von
dem Gewalthaber selbst vorgenommen wurde, war anfänglich kein Verlaß auf
das Geschäft. Denn wenn es dem Minderjährigen erhebliche Nachteile brachte,
konnte es auf Antrag durch das Gericht umgestoßen werden.5 Doch ist diese
„in integrum restitutio“ der Minderjährigen in vielen Teilen Deutschlands
schon vor Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs abgeschafft worden.
3. Rechtsgeschäfte geisteskranker, bewußtloser oder entmündigter Personen
wurden auch im bisherigen Recht den Rechtsgeschäften Minderjähriger gleich-
gestellt. Nur der Satz, daß die Geschäftsunfähigkeit eines entmündigten Geistes-
kranken sich auf die ganze Dauer seiner Entmündigung einschließlich lichter
Augenblicke des Kranken erstreckt, hat bisher nur im preußischen, französischen
und sächsischen Recht Anerkennung gefunden.7
4. a) Nach preußischem Recht und Handelsrecht war beim Vertragsschluß
unter Abwesenden der Antragsteller an seinen Antrag einstweilen gebunden;
ein Widerruf des Antrags war also, wie nach dem bürgerlichen Gesetzbuch,
nur wirksam, wenn er beim Antragsempfänger zugleich mit dem Antrage oder
früher einging.
b) Nach bisherigem gemeinen Recht wurde der Antragsteller an den An-
trag erst dann gebunden, wenn der Antragsempfänger die Annahme erklärte;
der Widerruf war also wirksam, wenn er bei dem Antragsempfänger zwar
nach dem Antrage, aber vor der Annahmeerklärung einging.? 10
5. Ob eine empfangsbedürftige Willenserklärung schon wirksam wird, wenn
sie beim Empfänger eingeht, oder erst, wenn sie zur Kenntnis des Empfängers
3) Regelsberger § 131; preuß. Ges. v. 12. 7. 75 § 4 1; sächs. G. 787.
4) Sächs. G. 787; preuß. Ges. v. 12. 7. 75 § 4 II.
5) Regelsberger § 201. 6) Preuß. Ges. v. 12. Juli 1875 § 9.
7) Pr. LR. I, 4 § 25; c. c. 502, 512; sächs. Ges. v. 20. Febr. 82. — Windscheid-
Kipp § 714.
8) Pr. LR. I, 5 8 90 ff.; älteres HGB. 318ff.
9) Windscheid-Kipp 88 306 ff. 10) Siehe auch Sächs. GB. 816.