Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

18 Einleitung. 
e) Das bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Reich. 
87. 
I. Der Wunsch nach einem einheitlichen, das ganze deutsche Volk um- 
fassenden bürgerlichen Gesetzbuch ist, nachdem er schon früher, insbesondre von 
Conring und Leibnitz, verfochten war, seit der Auflösung des römischen Reichs- 
deutscher Nation und dem Sturz der napoleonischen Fremdherrschaft mit be- 
sonderer Lebhaftigkeit geäußert worden. Namentlich fand er Ausdruck in der- 
Schrift des Heidelberger Juristen Thibaut „über die Nothwendigkeit eines all- 
gemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“ (1814), der dann freilich 
Savigny in seiner Abhandlung „von dem Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung, 
und Rechtswissenschaft“ (gleichfalls 1814) nachdrücklich widersprach. 
II. Doch hat die Erfüllung des Wunsches noch sehr lange auf sich wartemn 
lassen. 
1. Solange der deutsche Bund bestand, fehlte es an einer zentralen Ge- 
setzgebungsgewalt, die auch gegen den Widerspruch des einen oder andern 
Staats dem deutschen Volk ein gemeinsames Gesetzbuch hätte schaffen können, 
durchaus. Damals war also in Deutschland eine einheitliche Gesetzgebung nur- 
möglich, wenn alle Staaten freiwillig und einmütig bei ihr mitwirkten. Eine 
derartige Einmütigkeit ist aber nur für einige wenige Rechtsmaterien zu erreichen. 
gewesen, nämlich, wie bereits erwähnt, für das Urheber-, das Wechsel= und 
das Handelsrecht, auch hier übrigens unvollkommen genug. Außerdem ist es 
für das Obligationenrecht wenigstens zur Ausarbeitung eines Entwurfs ge- 
kommen, durch eine Konferenz, die auf Einladung des Bundestags 1863 
bis 1866 in Dresden tagte; da indes an dieser Konferenz zwar Osterreich, 
die vier kleineren Königreiche und noch fünf andre Staaten, nicht aber- 
Preußen und der Rest der andern Staaten teilnahm, so hatte der dresdener 
Entwurf nicht die mindeste Aussicht auf Annahme. 
2. Auch die Gründung des norddeutschen Bundes und des deutschen Reichs- 
hat in den ersten Jahren das Zustandekommen eines bürgerlichen Gesetzbuchs 
nicht gefördert. Freilich war jetzt eine starke zentrale Gesetzgebungsgewalt ge- 
schaffen. Allein es war ihr nicht das ganze bürgerliche Recht, sondern nur 
ein Teil (Handels-, Wechsel, Urheber-, Obligationenrecht) unterstellt. 
3. Erst das Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 hat die Zuständigkeit 
der Reichsgesetzgebung auf das ganze bürgerliche Recht ausgedehnt. Doch sollte 
auch jetzt noch fast ein Vierteljahrhundert verfließen, ehe ein einheitliches bürger- 
liches Gesetzbuch für das ganze Reich wirklich zustande kam, indem zwei nach- 
einander tagende Kommissionen 21 Jahre lang (1874—1895) mit der Aus- 
arbeitung zweier Entwürfe — des Entwurfs erster und des Entwurfs zweiter- 
1) Vierhaus bei B. u. F. Heft 1 (88); Schwarz im Arch. f. BR. 1 S. 1.
	        
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