Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

366 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen. 
3. Dritter Fall: das Rechtsgeschäft legt einer Partei die Verpflichtung 
zu Leistungen ob, die an einer andern Unbestimmtheit als der zu 1. und 2. 
genannten leiden, so daß es sich also nicht bloß um die Wahl zwischen 
mehreren im Geschäft einzeln aufgezählten Leistungen oder um die Wahl einer 
konkreten Sache aus einer genau bestimmten Gattung von Sachen handelt; 
auf welche bestimmte Leistung die Verpflichtung sich später endgültig richten 
soll, hat entweder der Schuldner oder der Gläubiger zu entscheiden. 
a) Welche Partei die Entscheidung zu treffen hat, ist dem Rechtsgeschäft 
selbst zu entnehmen. Schweigt das Rechtsgeschäft, so wird die Entscheidung, 
wie bei der Alternativ= und der Gattungsobligation, im Zweifel dem Schuldner 
zu überlassen sein. Doch gilt eine Ausnahme, wenn die Entscheidung den Um- 
fang der für eine Leistung vertragsmäßig versprochenen Gegenleistung betrifft: 
hier ist im Zweifel nicht der Schuldner dieser Gegenleistung, sondern um- 
gekehrt ihr Gläubiger entscheidungsberechtigt (316; s. aber auch 612 II, 
632 II, 653 11). 
Beispiel. Wenn A. in dem Gasthause des B. absteigt, ohne etwas über den Zimmer- 
preis zu vereinbaren, so hat er damit die Preisbestimmung dem B. überlassen. 
b) Die Entscheidung ist, anders als bei der Alternativobligation, im 
Zweifel nicht nach Willkür, sondern nach billigem Ermessen der entscheidungs- 
berechtigten Partei zu treffen (s. 315 1). Die Gegenpartei hat also das Recht, 
die Entscheidung, wenn sie unbillig ist, als unverbindlich zu verwerfen. Doch 
wird dadurch nicht etwa das ganze Rechtsgeschäft ungültig; ebensowenig geht, 
wie bei der Alternativobligation, das Entscheidungsrecht nunmehr auf die 
Gegenpartei über. Vielmehr bleibt der Inhalt des Rechtsgeschäfts unbestimmt, 
wie er war, und erst, wenn es zum Prozeß kommt, wird die Entscheidung 
durch das Gericht getroffen; behauptet in dem Prozeß die entscheidungs- 
berechtigte Partei, daß die von ihr getroffene Entscheidung angemessen gewesen 
sei, so muß sie selber dies beweisen (s. 315 III). Es ist aber auch zulässig, 
daß die Parteien bestimmen, die berechtigte Partei möge ihre Entscheidung 
nach Willkür treffen; nur wird ein derartiges Geschäft wegen gar zu großer 
Unbestimmtheit weit eher der Nichtigkeit verfallen als ein Geschäft, dessen In- 
halt vom billigen Ermessen einer Partei abhängt. 
Beispiel. A. tritt als Gesellschafter in eine Fabrik ein; seinen Gewinn= und Verlust- 
anteil sollen die andern Gesellschafter, nachdem sie ihn näher kennen gelernt, bestimmen. Hier 
wäre der Vertrag ungültig, wenn die andern Gesellschafter ihre Bestimmung willkürlich 
treffen dürfen; er ist gültig, wenn sie die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen 
haben; die Vermutung spricht für letzteres. Würden die Gesellschafter dem neuen Genossen 
½ Gewinn= und ½ Verlustanteil auferlegen, so würden sie im Streitfall die Billigkeit dieser 
Bestimmung nachweisen müssen. 
I) Die entscheidungsberechtigte Partei darf mit ihrer Entscheidung nicht, 
wie bei der Alternativobligation, warten, bis der Gegner zur Zwangsvoll-= 
streckung schreitet oder ihr ausdrücklich eine Frist zur Ausübung ihres Wahl- 
rechts setzt. Vielmehr kann der Gegner fordern, daß jene Partei sich unge-
	        
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