Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

5 86. Zweiseitige Schuldverhältnisse. Gegenseitige Verträge. 371 
Zweck, um gegen die eigne Leistung die Gegenleistung der andern Partei einzutauschen: der 
Verkäufer verpflichtet sich zur Lieferung der Ware nur, um dadurch den Kaufpreis, der Käufer 
verpflichtet sich zur Zahlung des Kaufpreises nur, um dadurch die Ware zu gewinnen. Das 
Schuldverhältnis ist also vollkommen zweiseitig, der Kauf ein gegenseitiger Vertrag. b) Ebenso 
steht es bei der Miete, bei dem Dienstvertrage, bei dem Werkvertrage. 2. a) Beim Auftrage 
ist der Auftragnehmer zur Ausführung des von ihm übernommenen Geschäfts, der Auftrag- 
geber zur Erstattung der dem Auftragnehmer durch die Geschäftsführung erwachsenen Aus- 
lagen verpflichtet: alle beide Parteien sind sowohl Schuldner wie Gläubiger. Das Schuld- 
verhältnis ist also ein zweiseitiges. Jedoch ist keine Rede davon, daß der Auftragnehmer 
die Pflicht zur Geschäftsführung nur zu dem Zweck übernehme, dadurch seine Auslagen er- 
stattet zu bekommen; allerdings ist es möglich, daß er nur tätig wird, weil er das Recht 
auf Kostenerstattung hat; doch ist deshalb die Kostenerstattung noch nicht der „Zweck“ seiner 
Tätigkeit; käme es dem Auftragnehmer wirklich nur darauf an, daß die Kosten der Geschäfts- 
führung ihm wieder abgenommen werden, so täte er weit besser, sich auf die Geschäfts- 
führung gar nicht erst einzulassen. Das Schuldverhältnis ist also ein unvollkommen zwei- 
seitiges. b) Ebenso steht es bei der Leihe, der auftraglosen Geschäftsführung. 
II. 1. Bei den vollkommen zweiseitigen Schuldverhältnissen gilt die Regel, 
daß, wenn nicht gesetzlich oder rechtsgeschäftlich ein andres bestimmt ist, der 
Austausch von Leistung und Gegenleistung Zug um Zug erfolgen soll: keine 
Partei braucht zu leisten, ehe sie nicht in den Genuß der Gegenleistung tritt.“ 
a) Die Regel, daß bei einem vollkommen zweiseitigen Schuldverhältnis 
jede Partei die ihr obliegende Leistung nur Zug um Zug gegen die der 
andern Partei obliegende Gegenleistung zu bewirken braucht, bedeutet nicht 
etwa, daß eine Partei, die die gegnerische Leistung verlangt, sofort unauf- 
gefordert auch die eigne Leistung anbieten müßte. Vielmehr ist es Sache der 
andern Partei, wenn sie die ihr obliegende Leistung nur Zug um Zug gegen 
Empfang der ihr zukommenden Leistung bewirken will, sich hierauf mittels 
„Einrede“ zu berufen. Und zwar hat die Erhebung dieser Einrede — der 
Einrede des nicht erfüllten Vertrages (exceptio non adimpleti 
contractus) — nicht den Sinn, daß die andre Partei die ihr zukommende 
Leistung positiv einfordert, sondern nur, daß sie negativ die ihr obliegende 
Leistung so lange verweigert, bis ihr Zug um Zug auch die ihr zukommende 
Leistung entrichtet wird (320 J). 
Beispiele. I. A. hat übereilterweise sein Haus an B. verkauft, hofft aber, das Haus trotz- 
dem behalten zu können, weil es für B. unmöglich ist, die Mittel zur Bezahlung des bedungenen 
Kaufpreises aufzubringen. Hier braucht A. sich tatsächlich wegen des Hauses keine Sorge zu 
machen. Denn er hat das Haus dem B. erst zu übereignen, wenn dieser Zug um Zug den 
Kaufpreis bar bezahlt. II. Nun hat aber B. die Dreistigkeit, den A. auf die Übereignung 
des Hauses zu verklagen, und A. bleibt im Vertrauen darauf, daß B. nicht zahlen kann, 
im Verhandlungstermin aus. Hier wird A. nach dem Klagantrage verurteilt und muß, 
wenn er dies Urteil rechtskräftig werden läßt, das Haus an B. ohne irgendwelche An- 
zahlung übereignen; denn er hat es ja unterlassen, sein gutes Recht, die eigne Leistung nur 
Zug um Zug gegen die bedungene Gegenleistung B.s zu bewirken, mittels Einrede recht- 
zeitig geltend zu machen. Nicht als ob B. durch diese Unvorsichtigkeit des A. von seiner 
Pflicht, den bedungenen Kaufpreis zu bezahlen, endgültig befreit wäre. Aber A. kann die 
Übereignung des Hauses nunmehr nicht bis zur Zahlung des Kaufpreises verschieben, sondern 
muß sofort übereignen und mag zusehn, wie er nachträglich zu seinem Gelde kommt. 
3) Siehe aber RG. 54 S. 123. 
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