382 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen.
II. Eine Verpflichtung zum Schadensersatz wird am häufigsten dadurch
begründet, daß jemand eine ihm obliegende Verbindlichkeit nicht erfüllt oder ein
Delikt begeht. Daneben gibt es aber noch zahlreiche andre Fälle der Schadens-
ersatzpflicht, namentlich als Folge einer Enteignung. Auch vertragsmäßig kann
eine Schadensersatzpflicht begründet werden, vor allem durch Versicherungs-
und Garantieverträge. Daß die Schadensersatzpflicht nicht unbedingt ein Ver-
schulden des Verpflichteten voraussetzt, ist schon oben in der Lehre vom Zufall
(§ 72) nachgewiesen.
III. Die Schadensersatzforderung kann mit einer andern Forderung recht-
lich zusammenhängen, entweder so, daß die andre Forderung sich in eine
Schadensersatzforderung verwandelt, oder so, daß die Schadensersatzforderung
einer andern Forderung als Nebenanspruch angehängt wird; in beiden Fällen
verjährt der Schadensersatzanspruch in der gleichen Zeit wie die andre Forderung
(s. 224). Die Schadensersatzforderung kann aber auch selbständiger Art sein.
Beispiel. Ein Bahnwärter hat es versäumt, beim Nahn eines Güterzuges die Schranke
an der das Geleise kreuzenden Landstraße zu schließen; die Folge ist, daß der Zug mit dem
die Kreuzungsstelle passierenden Wagen des A. zusammenstößt und entgleist; dadurch wird
A. körperlich schwer verletzt, ein von B. aufgeliefertes Eisenbahnfrachtgut wird völlig zerstört,
ein andres von C. aufgeliefertes Eisenbahnfrachtgut wird verschleppt und dem Empfänger
drei Wochen zu spät abgeliefert. Hier haben A., B. und C. einen Schadensersatzanspruch
gegen die Bahn. A.s Anspruch wegen der Körperverletzung ist ein selbständiger. Dagegen
tritt B.s Anspruch wegen der Zerstörung des Frachtguts als Surrogat an die Stelle seines
Anspruchs auf die Ablieferung des Guts, und C.S# Anspruch wegen der verspäteten Abliefe-
rung des Frachtguts wird seinem Anspruch auf die Ablieferung des Guts als Nebenanspruch
angehängt.
IV. 1. a) Der „Schaden"“, auf dessen Erstattung die Schadensersatzpflicht
abzielt, wird gesetzlich wie folgt definiert: er ist der Unterschied zwischen dem
zurzeit tatsächlich bestehenden Zustande und dem Zustande, der bestehn würde,
wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (249 Satz 1).
Doch ist diese gesetzliche Formel offenbar verkehrt.
a) Die Formel ist zu eng. Denn es kann geschehn, daß zwei voneinander
unabhängige Umstände, von denen jeder eine andre Person zum Schadensersatz
verpflichtet, die nämlichen Folgen hervorbringen. Würde man obige Formel
auf einen derartigen Fall anwenden, so wäre das Ergebnis, daß keine der
beiden Personen ersatzpflichtig wäre: denn eine jede könnte behaupten, daß der
bestehende Zustand auch dann vorliegen würde, wenn der gerade sie zum
Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
5) Die Formel ist zu weit. Denn es kann geschehn, daß der zum Ersatz
verpflichtende Umstand Folgen mit sich bringt, an deren Beseitigung der ersatz-
berechtigte Gläubiger keinerlei rechtliches Interesse hat, und daß die Folgen, die
der zum Ersatz verpflichtende Umstand mit sich bringt, nicht auf diesem Um-
stande allein beruhn, sondern lediglich durch das Hinzutreten einer Reihe andrer
Umstände verursacht sind, für die der ersatzpflichtige Schuldner nicht verant-
wortlich zu machen ist. Würde man obige Formel auch auf derartige Fälle