Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§§ 92, 93. Negatives Vertragsinteresse. Vertragsstrafe. 391 
also der Gläubiger nachweisen, daß sein Schaden größer ist, so darf er auch 
den Mehrbetrag erstattet verlangen. 
V. Einige andre besonders geartete Fälle des Schadensersatzanspruchs 
werden in der Lehre von den Delikten (88 164, 165) besprochen werden. 
h) Privatstrafen. ½ 
8 93. 
Privatstrafe ist die Genugtuung, die jemand dem, gegen den er sich 
verfehlt hat, gewähren muß. 
I. 1. Die Privatstrafe ist dem Schadensersatz nahe verwandt. Doch kann 
die Schadensersatzpflicht auch bei einer Handlung des Verpflichteten Platz greifen, 
die eine Verfehlung des Schuldners nicht enthält. Außerdem ist der Zweck 
der Privatstrafe umfassender als der des Schadensersatzes: denn indem die 
Strafe dem Verletzten „Genugtuung“ schaffen will, geht sie darauf aus, ihm 
nicht bloß den erlittenen Schaden abzunehmen, sondern auch das an ihm be- 
gangene Unrecht zu „sühnen". Demgemäß setzt die Strafe nicht voraus, daß 
der Verletzte überhaupt einen Schaden erlitten hat; noch weniger wird die 
Höhe der Strafe durch die Größe des dem Verletzten zugefügten Schadens 
bestimmt. 
Dieser Gegensatz von Privatstrafe und Schadensersatz wird dadurch etwas verhüllt, 
daß, wie im vorigen Paragraphen zu 1V gezeigt, das Gesetz in einigen Fällen den Schadens- 
ersatzanspruch von dem Nachweise eines bestimmten Schadens unabhängig macht. Trotzdem 
wird man auch derartige Schadensersatzansprüche von den Strafansprüchen unterscheiden. 
Denn obschon jene Ansprüche im Einzelfall dem Berechtigten ein mehreres als den bloßen 
Ersatz des erlittenen Schadens verschaffen, ist dies doch eine vom Gesetz nicht positiv gewollte 
Folge; wenigstens ihrer Bestimmung nach sollen jene Ansprüche nur den Schadensersatz 
umfassen; bloß damit sie keinesfalls hinter diesem Ziel zurückbleiben, sind sie so gestaltet, 
daß sie ausnahmsweise noch über das Ziel hinausschießen. Die Privatstrafe faßt dagegen 
von vornherein ein weiteres und größeres Ziel als das des Schadensersatzes ins Auge. 
2. Von den Kriminal= und den Ordnungsstrafen sind die Privatstrafen 
namentlich dadurch verschieden, daß sie nicht an den Staat oder sonstige öffent- 
lichrechtliche Anstalten, sondern an den Verletzten fallen. 
II. Die Privatstrafen beruhen entweder auf Rechtsgeschäft oder auf Gesetz. 
1. Rechtsgeschäftlich festgesetzte Privatstrafen finden sich überaus 
häufig. Das wichtigste Beispiel ist die Vertragsstrafe (Konventionalstrafe). 
a) Am häufigsten wird die Vertragsstrafe in Verbindung mit einer andern 
Leistung derart versprochen, daß sie nur dann zu erlegen ist, wenn die andre 
Leistung nicht vertragsmäßig bewirkt wird. Diese andre Leistung ist also der 
Hauptgegenstand des Vertrages, die Strafe steht erst in zweiter Reihe; das 
Recht des Gläubigers auf die andre Leistung bildet seinen Hauptanspruch; das 
1) Ledermann, Unterschied des Reugeldes und der Vertragsstrafe (O4); O. Sieveking, 
Trennung des Anspruchs auf eine Vertragsstrafe vom Hauptrecht (Diss. 08).
	        
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