§ 102. Erfüllung. Quittung. Zahlung unter Vorbehalt. 421
3. Hat der Gläubiger über eine Leistung des Schuldners eine Quittung
ausgestellt, so gilt der Überbringer der Quittung als ermächtigt, die Leistung
zu empfangen, es sei denn, daß die dem Leistenden bekannten Umstände der
Annahme einer solchen Ermächtigung entgegenstehn (370).
a) Vorausgesetzt ist, daß die Ausstellung der Quittung nach den für ein—
seitige nicht empfangsbedürftige Rechtsgeschäfte geltenden Regeln rechtsgültig
erfolgt ist. Dagegen kommt darauf nichts an, wie der Überbringer zu der
Quittung gekommen ist. Die Ermächtigung ist also unwirksam, wenn die
Quittung gefälscht, sie ist wirksam, wenn die Quittung echt, aber dem Gläubiger
gestohlen ist.
b) Kraft der Ermächtigung kann der Überbringer die Leistung sowohl in
eignem Namen wie auch im Namen des Gläubigers als dessen Stellvertreter
in Empfang nehmen.
Beispiel. I. Der Maler A. hat über zwei von ihm für B. und C. gemalte Porträts
Rechnungen ausgestellt, die für B. mit, die für C. ohne Quittung; das Notizbuch, in dem
sich beide Rechnungen befanden, hat er in einen Straßenbahnwagen liegen lassen; D. hat
sie dort gefunden und die Rechnungsbeträge von B. und C. eingezogen. Hier ist B. durch
die Zahlung an D. befreit; C. ist A.s Schuldner geblieben. II. Derselbe Fall wie zu 1;
nur war A. wegen Verschwendung entmündigt und hat die Quittung ohne die erforderliche
Einwilligung seines Vormundes ausgestellt. Hier ist auch eine Befreiung B.s nicht ein-
getreten. III. Derselbe Fall wie zu l; nur war D.s Erscheinung so strolchenhaft, daß die
Annahme ausgeschlossen war, A. könnte ihn zur Einziehung des Rechnungsbetrages ermächtigt
haben. Hier wird B. gleichfalls nicht befreit.
IX. 1. a) Nicht selten nimmt jemand eine Leistung zum Zweck der Er-
füllung einer angeblich gegen ihn bestehenden Forderung vor, indem er gleich-
zeitig das Vorhandensein der Forderung bestreitet und sich das Recht auf
Rückgewähr der Leistung vorbehält. Eine solche Leistung „unter Vorbehalt" 13
wirkt verschieden, je nachdem die Forderung, der sie gilt, zu Recht besteht oder
nicht: im ersteren Fall hat sie dieselbe Wirkung wie eine vorbehaltslose Er-
füllung; im letzteren Fall führt sie eine ungerechtfertigte Bereicherung des
angeblichen Gläubigers herbei und muß deshalb auf Verlangen des Leistenden
an diesen zurückgegeben werden. Ist der rechtliche Bestand der Forderung
streitig, so trifft die Beweislast den Gläubiger.
b) Ebenso kommt es vor, daß ein Gläubiger die ihm zur Erfüllung einer
ihm angeblich zustehenden Forderung angebotene Leistung nur unter Vorbehalt
annimmt, namentlich dann, wenn er die Leistung mangelhaft findet. Eine solche
Annahme „unter Vorbehalt“ wirkt, wenn der Vorbehalt unbegründet ist,
gerade wie eine vorbehaltlose Annahme; ist der Vorbehalt begründet, so sichert
er dem Gläubiger alle Rechte, die ihm im Fall der Ablehnung der Leistung
zugestanden haben würden; insbesondre kann er die Mängel der Leistung
ohne jede Beschränkung rügen und ist, wenn die Mängel streitig sind, nicht
beweispflichtig.
13) Martinius bei Gruchot 47 S. 760; ders., Arch. f. ziv. Pr. 97 S. 87; Liebknecht,
Vorbehaltszahlung (99).