Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

422 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen. 
Beispiel. A. sendet dem B. eine Rechnung über 20 Mk. für gelieferte Ware; 
B. bezahlt die Rechnung nur unter Vorbehalt, weil er behauptet, die Ware nicht bekommen 
zu haben; A. nimmt das von B. bezahlte Zwanzigmarkstück nur unter Vorbehalt an, weil 
er bezweifelt, daß es echt ist. Hier muß im Streitfall A. die Lieferung der Ware, B. die 
Echtheit des Goldstücks beweisen. Mißlingt der erste Beweis, so muß A. das Goldstück an 
B. zurückgeben; gelingt der erste und mißlingt der zweite Beweis, so muß B. gegen Rück- 
gabe des Goldstücks ein andres hergeben. 
2. Eine Leistung unter einem unbegründeten Vorbehalt ist eine unvoll- 
kommene Leistung, eine Annahme unter einem unbegründeten Vorbehalt ist eine 
unvollkommene Annahme. Deshalb braucht sich der Gläubiger auf den ersteren, 
der Schuldner auf den letzteren Vorbehalt nicht einzulassen. Der Gläubiger 
kann also eine unter einem unbegründeten Vorbehalt angebotene Leistung 
zurückweisen, ohne in Annahmeverzug zu geraten; ebensowenig gerät der 
Schuldner in Erfüllungsverzug, wenn er einem Gläubiger, der seine Leistung 
unter einem unbegründeten Vorbehalt annehmen will, die Leistung ganz 
verweigert. 
X. 1. Soweit eine Forderung erfüllt wird, erlischt sie und lebt selbst 
dann nicht wieder auf, wenn die Erfüllung später rückgängig gemacht wird. 
Beispiele. I. A. hat in notarieller Urkunde versprochen, der B. bei ihrer Hochzeit die 
ganze Ausstattung an Möbeln, Silbersachen, Porzellan und Wäsche zu schenken und hat 
ihr, als sie heiratele, auch tatsächlich neben anderm einen Silberkasten im Wert von 3000 Mk. 
geschenkt; bald darauf hört er, daß die B. das geschenkte Silber höchst altmodisch findet, läßt 
sich deshalb den Kasten zurückgeben und verspricht die Schenkung eines andern Kastens 
nach der allerletzten Mode. Hier hat A. nicht etwa seine alte Schenkerverpflichtung in An- 
sehung des Silbers wiederhergestellt. Vielmehr hat er entweder der B. ein neues Schenkungs- 
versprechen gemacht oder hat mit ihr einen auf Umtausch des alten gegen einen neuen Silber- 
kasten gerichteten entgeltlichen Vertrag abgeschlossen; ersterer Vertrag würde freilich mangels der 
rechten Form ungültig sein. II. Derselbe Fall; nur hat A. das nämliche Ausstattungsversprechen 
auch der C. erteilt, sodann den für die C. angeschafften Silberkasten versehentlich der B. ge- 
geben und, sobald er die Verwechslung bemerkte, die Hingabe des Kastens an die B. wegen 
Irrtums angefochten. Hier lebt A.s Schenkerverpflichtung gegenüber der B. wieder auf. 
Denn hier ist ja die Erfüllung des alten Schenkungsversprechens nicht bloß „rückgäng ge- 
macht“ wie im Fall 1, sondern sie gilt infolge der Anfechtung als gar nicht erfolgt. 
2. Ausnahmsweise kommt es vor, daß eine Forderung durch die Er- 
füllung nicht erlischt, sondern nur von dem gegenwärtigen auf einen neuen 
Gläubiger übertragen wird. Ein wichtiger hierher gehöriger Fall ist bereits 
oben S. 416 zu 6 erwähnt. 
2. Erfüllungsort. 
8 103. 
I. Im allgemeinen muß der Schuldner an dem Ort erfüllen, an dem 
er zur Zeit der Entstehung der Verbindlichkeit seinen Wohnsitz hatte; ist die 
Verbindlichkeit in seinem Gewerbebetriebe entstanden, so muß er an dem Ort 
1) Schefold, Arch. f. ziv. Pr. 87 S. 149; Kerssenboom, Leistungsort (Diss. 04); 
Leonhard, Erfüllungsort (07).
	        
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