Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 102. Erfüllung. § 103. Erfüllungsort. 423 
erfüllen, an dem sich zur Zeit der Entstehung der Verbindlichkeit seine gewerb- 
liche Niederlassung befand (269 I, II). Der Gläubiger muß also die Leistung 
beim Schuldner holen; der Schuldner braucht die Leistung dem Gläubiger 
nicht zu bringen. Man drückt diese Regel auch dahin aus, daß die Verpflich- 
tungen im allgemeinen Hol-, nicht Bringschulden sind. 
II. 1. Doch bilden die Geldschulden eine Ausnahme: sie sind Bring-, 
nicht Holschulden. Der Schuldner muß nämlich das Geld auf seine Kosten 
und Gefahr an den Wohnort des Gläubigers übersenden; gemeint ist dabei 
nicht der Ort, an dem der Gläubiger zur Zeit der Entstehung der Verbind- 
lichkeit gewohnt hat, sondern sein jeweiliger Wohnort; wenn also der 
Gläubiger nach Begründung seines Forderungsrechts verzieht, so kann er die 
Übersendung des Geldes an den neuen Wohnsitz verlangen; indes geht, wenn 
hierdurch die Übersendungsgefahr vergrößert wird, diese Gefahr vom Schuldner 
auf ihn über, und sind auch die Kosten der Übersendung vergrößert, so muß 
der Gläubiger wenigstens die Mehrkosten tragen. Ist die Forderung im Ge- 
werbebetriebe des Gläubigers entstanden, so tritt an die Stelle seines Wohn- 
sitzes der Ort seiner gewerblichen Niederlassung (270 1—III). 
2. Ungeachtet dieser Regel bleibt aber auch bei Geldschulden der eigent- 
liche Erfüllungsort da, wo der Schuldner zur Zeit der Entstehung der Ver- 
pflichtung seinen Wohnsitz oder seine gewerbliche Niederlassung hatte (270 IV). 
Die dem Schuldner obliegende Pflicht der Übersendung des Geldes wird also 
vom Gesetz als eine bloße Nebenpflicht aufgefaßt. Die Hauptverpflichtung des 
Schuldners ist dagegen, daß er das Geld zur Absendung bereitstellt, und diese 
Pflicht muß er ebenda erfüllen, wo er zur maßgebenden Zeit wohnte oder 
seine gewerbliche Niederlassung hatte. Dieser letztere Erfüllungsort und nicht der 
Ort, wohin der Schuldner das Geld zu senden hat, ist bestimmend für die Aus- 
legung des Rechtsgeschäfts, auf dem die Verpflichtung des Schuldners beruht, 
für den Gerichtsstand bei einer Klage, die der Gläubiger wider den Schuldner 
auf Erfüllung der Verpflichtung erhebt, für das örtliche Recht, dem die Ver- 
pflichtung des Schuldners unterliegt, usw. 
3. Offentliche Kassen, namentlich die des Fiskus, brauchen Gelder, die 
sie schuldig sind, dem Gläubiger nicht zuzusenden, sondern können Abholung 
verlangen (EEG. 92; AusfGes. Preußen 11, Bayern 11 usw.). 
III. Die vorstehenden Regeln gelten nur ergänzend, nämlich nur dann, 
wenn nicht aus der besondern Natur einer Forderung, aus der Verkehrs- 
sitte oder aus den rechtsgeschäftlichen Bestimmungen der Parteien etwas Ab- 
weichendes folgt. 
Beispiele. I. Der in Rixdorf wohnende Schuhmachergeselle A. muß seine Arbeit in 
der Werkstatt seines in Berlin wohnenden Meisters B. verrichten, nicht nach der Regel zu I 
in seiner eignen Wohnung. II. Der Auftragnehmer C. muß das für seinen Auftraggeber 
D. eingenommene Geld zwar dem D. zusenden, aber abweichend von der Regel II auf D.ö 
Gefahr und Kosten.
	        
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