Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 9. Reichs= und Landesgesetze. 27 
haben hier einigermaßen freie Hand nur insoweit, als sie dem Fiskus eine andre öffentlich- 
rechtliche juristische Person, also etwa die Provinz oder die Ortsgemeinde, das Kloster oder 
die Handwerkerinnung, der der Erblasser angehört, substituieren dürfen. Haben sie dies 
aber getan, so hat dieser ihr Substitut unabänderlich dieselben Rechte und Pflichten, die 
der Fiskus gehabt haben würde, wenn jene landesgesetzliche Regel nicht ergangen wäre. 
Die Landesgesetze dürfen also die Rechtsstellung ihrer Substitute nicht günstiger, aber auch 
nicht ungünstiger gestalten als die des Fiskus. 
Selbst wenn die Überweisung einer ganzen Rechtsmaterie an die Landesgesetzgebung 
im E. vorbehaltlos erfolgt ist, wird sie doch insofern beschränkt, als die Landesgesetze 
zwar dem BG#., nicht aber auch den übrigen Reichsgesetzen widersprechen dürfen, es sei denn, 
daß diese durch eine besondre Klausel landesgesetzliche Abweichungen gleichfalls für statthaft 
erklären. — Beispiele: I. Obschon das Recht der Lehen und Familienfideikommisse durch 
E. 59 der Landesgesetzgebung nur mit einem geringfügigen für die solgende Frage un- 
erheblichen Vorbehalt überwiesen ist, sind die Landesgesetze doch nicht befugt zu bestimmen, 
daß Nichtchristen von der Erbfolge in Lehen oder Familienfideikommisse ausgeschlossen seien; 
denn damit würden sie zwar nicht dem im E6. selbst ausgesprochenen Vorbehalt, wohl 
aber einer Regel des RGes. v. 3. Juli 69 betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen wider- 
sprechen; und dieses Gesetz läßt landesgesetzliche Abweichungen nicht zu. II. Andre Reichs- 
gesetze, die ähnliche Klauseln zugunsten der Landesgesetze enthalten wie das E., sind die 
RGrundbuchordn. 83, das RGes. betr. die freiw. Gerichtsbarkeit 189 usw. 
7) Die Überweisungen des Einführungsgesetzes bedeuten nicht, daß das 
bürgerliche Gesetzbuch auf eine der Landesgesetzgebung zugesprochene Rechts- 
materie überhaupt nicht anwendbar sei, sondern nur, daß es bloß ergänzend, 
also als subsidiäre Rechtsquelle, für sie Geltung hat.2 
Beispiel. Das preußische Bergrecht schreibt für die Verpsändung von Bergwerkskuxen 
die Übergabe des Kuxscheins auf Grund eines schriftlichen Vertrages vor (preuß. Berggesetz 
v. 24. Juni 65 5. 108). Diese Regel ist auch neben dem BGB. gültig, da, wie bereits er- 
wähnt, das ganze Bergrecht der Landesgesetzgebung überwiesen ist (EcG. 67). Nun kann 
das preußische Bergrecht beliebig bestimmen, was unter einem schriftlichen Vertrage zu ver- 
stehen ist. Es hat dies aber nicht getan. Die Folge ist, daß diese Frage nach den Vorschriften 
des allgemeinen bürgerlichen Rechts, d. h. nach den Vorschriften des BG.s# (126) beantwortet 
werden muß. 
0) Die Überweisungen des Einführungsgesetzes gelten für die Vergangenheit 
sowohl wie für die Zukunft. Das will besagen: sie lassen auf dem der 
Landesgesetzgebung überwiesenen Gebiet nicht bloß die vorhandenen Landes- 
gesetze in Kraft, sondern gestatten regelmäßig auch den Erlaß neuer Landes- 
gesetze (EG. 3; Ausnahme CE. 212, 63). 
e) Soweit eine Überweisung nicht erfolgt ist, ist das bürgerliche Recht 
der Landesgesetzgebung ganz entzogen. Insoweit ist also nicht bloß der Erlaß 
neuer Landesgesetze unstatthaft, sondern es sind auch die bereits ergangenen 
Landesgesetze mit einem Schlage aufgehoben (EG. 3, 55). Und zwar gilt 
dies auch dann, wenn es sich um eine Rechtsfrage handelt, die im bürgerlichen 
Gesetzbuch unvollständig geregelt oder schweigend übergangen ist. 
Beispiel. Die landesgesetzlichen Bestimmungen über den sog. Trödelvertrag, über den 
Verkauf mit Vorbehalt eines besseren Käufers, über die Einkindschaft sind aufgehoben, ob- 
schon das B##B. über alle diese Dinge kein Wort enthält. 
5) RG. 55 S. 2.
	        
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