§ 111. Aufrechnung. 445
Wirkung der Aufrechnung zurückbezogen wird; etwaige Verzugswirkungen, die
nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, werden wieder aufgehoben usw. Doch
gilt hier eine Ausnahme: hat eine Partei wegen Nichterfüllung der der
Gegenpartei obliegenden Leistungen den Rücktritt erklärt, so wird diese Rück-
trittserklärung durch eine von der Gegenpartei erklärte Aufrechnung nur dann
hinfällig, wenn die Aufrechnungserklärung unverzüglich auf die Rücktritts-
erklärung folgt (357).
Beispiele. I. A. hat von B. 1000 Mk. nebst 6% Zinsen seit dem 1. April 08, B.
von A. S0O00 Mk. nebst 4% Zinsen seit demselben Tage zu fordern; beide Forderungen
werden am 1. April 09 fällig; am 1. Oktober 10 rechnet B. seine Forderung gegen die
A.Ss auf. Hier wirkt die Aufrechnung bis auf den 1. April 09 als den Fälligkeitstag zu-
rück; B. muß also an A. außer der Kapitaldifferenz von 200 Mk. zahlen: 1. an Zins-
differenz für die Zeit vom 1. April 08 bis zum 1. April 09 6% Zinsen von 1000 — 4%
Zinsen von 800 Mk. = 28 Mk.; 2. weitere 6% Zinsen von 228 Mk. seit dem 1. April 09
= 13,7 Mk. jährlich. II. Hätte B. in eben diesem Fall die Aufrechnung nicht erklärt, so
hätte er die 6% Zinsen auf 1000 Mk. auch nach dem 1. April 09 weiter entrichten müssen,
während A. seine 800 Mk. in derselben Zeit nur mit 4% zu verzinsen brauchte. Im Er-
gebnis hätte also B. seit dem 1. April 09 an Zinsen 28— 13,7 = 14,3 Mk. jährlich mehr
aufbringen müssen.
3. Hiernach ist das Aufrechnungsrecht des Aktivgläubigers von einem
bloßen Einrederecht bestimmt zu unterscheiden. Denn eine Einrede hemmt oder
lähmt das Recht, gegen das sie gerichtet ist; die Aufrechnung führt dagegen
zu einer vollständigen Zerstörung des Rechts.
III. 1. Wenn der Aktivgläubiger eine Mehrheit aufrechenbarer Forderungen
an den Passivgläubiger hat oder umgekehrt und diese Forderungen nicht sämt-
lich voll aufgerechnet werden, so entsteht die Frage, welche der Aktiv= und
welche der Passivforderungen bei der Aufrechnung zu bevorzugen sind. 18 Die
Antwort ist die gleiche wie in dem verwandten Fall, daß ein Schuldner, der
mehrere Verpflichtungen gegen den Gläubiger hat, eine Erfüllungsleistung
macht, die nicht sämtliche Verpflichtungen deckt. Doch besteht ein Unterschied.
Der Schuldner, der erfüllt, darf bei der Erfüllung die Vorzugsfrage nach
Willkür abweichend von den gesetzlichen Regeln entscheiden. Der Aktivgläubiger,
der aufrechnet, hat dagegen das gleiche Recht nicht; allerdings kann auch
er zunächst die Vorzugsfrage entscheiden, wie er will; wenn aber der Passiv-
gläubiger dieser Entscheidung unverzüglich widerspricht, hat es bei der gesetz-
lichen Entscheidung sein Bewenden (396 1; s. oben S. 417 VII, 1).
2. Wenn der Aktivgläubiger dem Passivgläubiger außer der Hauptleistung
Zinsen und Kosten schuldet, so kommt die für die Erfüllung geltende Regel
analog zur Anwendung (396 II; s. oben S. 418 b).
Beispiel. A. hat von B. aus zwei am 1. April 09 abgeschlossenen Kaufgeschäften zwei
sofort fällige Forderungen von je 1000 Mk. samt 4% Zinsen; am 1. Juli erwirbt B. gegen
A. eine fällige Gegenforderung von 1000 Mk., die er alsbald aufrechnet. Hier werden,
13) Seeler, Arch. f. BR. 15 S. 104; J. Goldschmidt, ebenda 15 S. 153; Sontag,
ebenda 21 S. 10.