Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 112. Vertragsmäßiges Rücktrittsrecht. 449 
trittsrecht bleibt sogar erhalten, wenn der Berechtigte einen Gegenstand, den 
er auf Grund des Vertrages von der Gegenpartei empfangen, vor der Rück- 
trittserklärung in Gebrauch genommen und dadurch abgenutzt oder wenn er 
ihn an einen Dritten veräußert oder zu dessen Gunsten belastet hat oder wenn 
der Gegenstand bei ihm oder dem Dritten durch Zufall untergegangen ist 
(s. 350). Dagegen geht das Rücktrittsrecht verloren (s. 352, 351, 353 1): 
a) wenn der Berechtigte oder der Dritte oder ein Rechtsnachfolger des 
Dritten den Gegenstand durch Verarbeitung oder Umbildung wesentlich um- 
gestaltet hat; 
6) wenn der Berechtigte oder der Dritte oder ein Rechtsnachfolger des 
Dritten oder die gesetzlichen Vertreter oder Gehülfen dieser Personen den 
Gegenstand schuldhaft verschlechtert oder die Herausgabe des Gegenstandes an 
die Gegenpartei schuldhaft unmöglich gemacht haben. 
Beispiele. I. A. kauft am 1. Mai von B. zwei Fahrräder, behält sich aber den Rück- 
tritt vom Kauf binnen vier Wochen vor; am 2. Mai läßt er die Räder abholen und ent- 
richtet dabei zugleich den bedungenen Kaufpreis; sodann ereignet sich das Folgende: 1. Das 
erste Rad verschenkt A. sofort an seinen Bruder C.; dieser veräußert es gleich darauf an D.; 
bei letzterem wird das Rad, ohne daß ihm oder seinen Leuten ein Verschulden zur Last 
fällt, am 25. Mai gestohlen. 2. Das zweite Rad behält A. für sich und benutzt es so eifrig, 
daß es, obschon er es im übrigen vorzüglich hält, schon nach 14 Tagen starke Gebrauchs- 
spuren zeigt; am 25. Mai stürzt er durch Verschulden des E. mit dem Rade; die Folge ist, 
daß das Rad schwer beschädigt wird. Wenn hier A. sich das Doppelunglück des 25. Mai 
so zu Herzen nimmt, daß er dem B. am 26. Mai den Rücktritt vom Kauf erklärt, so ist er 
durchaus im Recht. B. muß also nach den Regeln zu g den Kaufpreis beider Räder an 
A. zurückzahlen und darf nur soviel abziehn, als einem Mietzinse für die Räder auf die 
Zeit vom 2. bis 26. Mai entspricht; dafür erhält er von A. das zweite Rad, übel zu- 
gerichtet wie es ist, zurück, während er wegen des ersten Rades sich nur an Dieb und Hehler 
halten kann. Anders wäre freilich zu entscheiden, wenn man in dem „eisrigen“ Gebrauch 
des zweiten Rades ein Verschulden A.s erblicken dürfte. Doch kann davon keine Rede sein. 
Denn A. war ja Eigentümer des Rades und konnte es also so „eifrig“ benutzen und ab- 
nutzen wie er wollte, ohne daß man ihm deshalb rechtlich oder wirtschaftlich ein Verschulden 
vorwerfen darf. Daß er das Rad nur mit dem Vorbehalt des Rücktritts erworben hat, 
ändert hieran nicht das mindeste; denn er kann sich rechtlich wie wirtschaftlich dabei be- 
ruhigen, daß dem B. für die Benutzung und Abnutzung des Rades eine ausreichende Ver- 
gütung zuteil wird. II. Derselbe Fall wie zu 1; nur ist das erste Rad bei D. bloß des- 
halb gestohlen, weil seine Leute es nicht ordentlich verwahrt haben, und das zweite Rad ist 
bei A. bloß deshalb so stark verschlissen, weil er es nachlässig gefahren und schlecht gereinigt hat. 
Hier hat A. sein Rücktrittsrecht teils durch die Schuld des D., teils durch eigne Schuld ver- 
wirkt. III. Frau F. ist mit dem neuen Seidenkleide, das die Schneiderin ihr soeben abge- 
liefert, unzufrieden, weil die Farbe des Stoffs zu ihrem Teint nicht paßt; da erinnert sie 
sich, daß sie den Stoff ahnungsvoll nur unter Vorbehalt des Rücktritts gekauft hat, und ent- 
schließt sich, von ihrem Rücktrittsrecht wirklich Gebrauch zu machen; sie weigert sich also, den 
Stoff dem G., von dem sie ihn bezogen hat, zu bezahlen und bietet ihm dafür die Rückgabe 
des Stoffs in seinem jetzigen verarbeiteten Zustande als fertiges Kleid an, indem sie ihre 
Auslagen an Schneiderlohn und Zutaten preisgibt. Hier ist Frau F. im Unrecht. Denn 
man wird in der Verarbeitung des Stoffs zu einem Kleide zwar keine schuldhafte Ver- 
schlechterung, wohl aber eine wesentliche Umgestaltung des Stoffs sehn. 
Dem Fall, daß der Berechtigte den empfangenen Gegenstand an einen Dritten veräußert 
oder zugunsten eines Dritten belastet, steht im Sinn der obigen Regeln der Fall gleich, daß 
über den Gegenstand zugunsten eines Dritten im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrest- 
Cosack, Bürgerl. Recht. 5. Aufl. I. 29
	        
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