30 Buch I. Abschnitt 1. Die Rechtsregeln.
ist die Herrschaft auch bei den gefährlichsten dem Gesinde anbefohlenen Diensten haftfrei, so-
bald sie diejenigen Schutzmaßregeln angeordnet hat, die die Natur des Dienstes gestattet.“
II. Anders wäre zu entscheiden, wenn die preuß. Gesindeordn., statt auf LR. I, 13 8 81
zu verweisen, den Inhalt dieses Paragraphen in ihren eignen Text wörtlich übernommen
hätte. Denn dann wäre die Regel eine Spezialität des Gesinderechts geworden und als
solche durch EwG. 95 aufrecht erhalten.?
II. Das deutsche bürgerliche Gesetzesrecht ist entweder gemeines deut-
sches Recht oder Partikularrecht. Jenes gilt im ganzen deutschen Reich
und beruht ausschließlich auf Reichsgesetzen. Dieses gilt nur in irgendeinem
Teilgebiet des deutschen Reichs und kann auch auf Landesgesetzen oder auto-
nomen Statuten beruhn.
Beispiele: I. Die Reichskonkursordnung gilt als gemeines deutsches Recht in ganz
Deutschland. II. Das BGB. gilt gleichfalls zum allergrößten Teil als gemeines deutsches
Recht in ganz Deutschland; eine Minderzahl seiner Regeln hat dagegen ein beschränkteres
Geltungsgebiet: so haben die Vorschriften über die Eheschließung insoweit, als sie das bayrische
Heimatsrecht berühren, in Bayern keine Geltung, sind also ein partikuläres Recht des außer-
bayrischen Deutschlands (Versailler Vertrag v. 23. Nov. 70 III).10 III. Die Regel des
preuß. AG.s zum BeB., daß Schenkungen an juristische Personen, die den Betrag von
5000 Mk. übersteigen, königlicher Genehmigung bedürfen, gilt als partikuläres preußisches
Recht nur in Preußen (pr. Auss Ges. 6). IV. Die Regel desselben Gesetzes, daß die Auf-
lassung eines Grundstücks nicht bloß vor dem Grundbuchamt, sondern vor jedem preuß.
Notar oder Amtsgericht erklärt werden kann (pr. AussGGes. 26), gilt als partikuläres rhein-
preußisches Recht nur in der linksrheinischen und einem Teil der rechisrheinischen Rhein-
provinz. V. Die Regel des kurbrandenburgischen Gesetzes von 1508, wonach erblose Nach-
lasse in gewissen Fällen statt an den Fiskus an die Stadtgemeinde fallen (Dernburg pr.
Pr R. 3 §. 194), gilt als partikuläres Berliner Recht nur in der Stadt Berlin.
Vor Erlaß des BGB.s war es üblich, auch dasjenige bürgerliche Recht als „gemeines“
deutsches Recht zu bezeichnen, das für Deutschland als ein ganzes Rechtsgebiet, wenn schon
mit Ausnahme gewisser besonders benannter Teilgebiete, galt. Ja man hielt an diesem
Sprachgebrauch selbst dann fest, wenn die als Ausnahmen benannten Teilgebiete viel größer
waren als das dem sogenannten gemeinen Recht verbleibende Restgebiet. Wollte man an
dieser Terminologie noch jetzt sesthalten, so müßte man auch diejenigen Regeln des BGB. s, die,
wie oben erwähnt, in Bayern keine Geltung haben, 1½ gemeines deutsches Recht nennen.
Doch glaube ich kaum, daß eine solche Terminologie gegenwärtig irgend eine Berechtigung hat.
Denkbar ist es, daß eine bestimmte Gesetzesrechtsregel in ganz Deutschland gilt, aber
nicht, weil sie vom Reich durch Reichsgesetz, sondern weil sie von sämtlichen Einzelstaaten
durch übereinstimmende Landesgesetze eingeführt ist. Einc solche Regel bildet, obschon in
ganz Deutschland gültig, doch kein „gemeines“ Recht: sie gilt zwar in sämtlichen Teilgebieten
Deutschlands, aber nicht in Deutschland als einem einheitlichen Rechtsgebiet.
In den deutschen Konsulargerichtsbezirken gilt als bürgerliches Recht das ge-
meine deutsche sowie das in dem vormaligen Gebiet des preußischen Landrechts geltende
partikuläre Gesetzesrecht, jedoch nur für die dort sich aufhaltenden deutschen Reichsangehörigen
und Schutzgenossen (RGes. über die Konsulargerichtsbarkeit v. 7. April O0 88 19, 2. Aus-
nahmen ebenda 88§ 20, 21, 40 usw.). Ebenso gilt das gemeine deutsche sowie das partikulär-
preußische Gesetzesrecht für die nicht eingeborene Bevölkerung in den deutschen Kolonial-
gebieten (Schutzgebietsgesetz in der Fassung v. 10. Sept. 00 § 3).
8) Weißler, preuß. Landesprivatrecht (O0) 1 S. 537.
9) Vgl. aber Zitelmann, Grundriß S. 14.
10) Siehe unten bei Anm. 11.
11) Siehe oben bei Anm. 10.