Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 9. Gemeines u. partikuläres, zwingendes u. nachgiebiges Recht. 31 
III. Das deutsche bürgerliche Gesetzesrecht ist entweder zwingend oder 
nachgiebig. 1 
1. Es ist zwingend insoweit, als seine Regeln selbst gegen den erklärten 
Willen der beteiligten Privatpersonen anzuwenden sind. 
2. Es ist nachgiebig (vermittelnd, dispositiv) insoweit, als seine Regeln 
nur unter der Voraussetzung Anwendung finden, daß nicht eine der beteiligten 
Privatpersonen oder alle zusammen ein andres erklärt haben. 
Beispiele. I. Zwingend ist die Regel, daß eine formlose mündliche Erbeseinsetzung un- 
gültig ist (1937, 1941, 2231 f., 2276); denn selbst wenn alle Beteiligten (der Erblasser, dessen. 
Gatte, dessen Verwandte, dessen Gläubiger usw.) einstimmig ihre Einwilligung erklären, wird 
der sormlos Eingesetzte nicht Erbe. II. 1. Nachgiebig ist die Regel, daß, wenn jemand mit 
Hinterlassung einer Witwe und dreier Kinder stirbt, die Witwe und jedes Kind ihn zu gleichen 
Teilen beerben (1931, 1924): denn sie gilt nur, wenn der Erblasser nicht durch Testament 
oder Erbvertrag ein andres bestimmt hat (1937, 1938, 1941). 2. Nachgiebig ist auch die 
Regel, daß, wenn in dem eben genannten Fall der Erblasser ein Testament oder einen Erb- 
vertrag errichtet hat, die Witwe und die Kinder mindestens je ½ des Nachlaßwerts als Pflicht- 
teil fordern können (2303): denn hier kann zwar nicht der Erblasser für sich allein, aber 
doch der Erblasser in Ubereinstimmung mit den Pflichtteilsberechtigten ein andres bestimmen 
(2846). 
3. Bas Gewohnheitsrecht. 
8 10. 
I. 1. Das deutsche bürgerliche Gewohnheitsrecht ist, gerade wie das deutsche- 
bürgerliche Gesetzesrecht, entweder Reichsgewohnheitsrecht oder Landes- 
gewohnheitsrecht oder autonome Observanz. 
a) Die Reichsgewohnheiten sind Ubungen, die sich auf das Reich als. 
Ganzes erstrecken. 
b) Die Landesgewohnheiten sind Ubungen, die sich nur auf ein Teil- 
gebiet des Reichs erstrecken. 
Ic) Die Observanzen sind übungen, die sich nur auf einen mit Autonomie 
ausgestatteten Personenverband erstrecken. 
Beispiele. I. Eine Reichsgewohnheit ist der in ganz Deutschland geübte Satz, daß der 
Erwerb und der Inhalt der dinglichen Rechte an einem ausländischen Grundstück auch in 
Deutschland nach ausländischem Recht, nämlich nach dem Recht des Staats zu beurteilen ist, 
in dem das Grundstück liegt. II. Eine Landesgewohnheit ist der in manchen Gegenden 
Bayerns geübte Satz, daß ein Landwirt bei der Bestellung seiner Felder den Pflug jenseits 
seiner Grenze, auf dem Felde des Nachbarn, umwenden darf (s. bayr AusfGes. 76). III. Eine 
Observanz ist der in den meisten landesherrlichen Familien geübte Satz, daß die Ehe eines 
Familienangehörigen wegen gegenseitiger Abneigung der Gatten geschieden werden kann. 
2. a) Der Geltungsbereich der Reichsgewohnheiten ist gesetzlich nicht be- 
schränkt. Er umfaßt demgemäß,s wie der der Reichsgesetze, das ganze Gebiet 
des bürgerlichen Rechts. 
12) Ehrlich, das zwingende u. nicht zwingende Recht im BGB. (99). 1) Siehe unten 8 13 16. 
2) Heffter, die Sonderrechte der souveränen.. Häuser Deutschlands (71). 
3) Siehe aber oben § 8 IV.
	        
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