§ 120. Bisheriges Recht. 473
sei denn, daß der Antragsteller auf den Widerruf für eine bestimmte Zeit
verzichtet hatte.
III. Nach bisherigem preußischen Recht war bei gegenseitigen Zug um
Zug zu erfüllenden Verträgen die Bereitschaft jeder Partei zur Vollziehung
der ihr obliegenden Leistung die positive Voraussetzung für den Anspruch
der Partei auf die ihr versprochene Gegenleistung. Klagte also etwa beim Kauf
der Verkäufer auf den Kaufpreis, so durfte er nicht abwarten, daß der Be-
klagte ihm die Einrede des nicht erfüllten Vertrages entgegenstellte, sondern
mußte aus eignem Antriebe erklären, daß er die Kaufsache bereits geliefert
habe oder zur Lieferung Zug um Zug gegen Zahlung des Kauppreises
bereit sei.“
IV. Das bisherige gemeine und französische Recht hatte für Verträge,
die die Veräußerung von Grundstücken abzielten, erschwerende Formvorschriften
nicht aufgestellt: selbst die größten Grundstücke konnten formlos verkauft
werden. Dagegen hatte das preußische Recht für derartige Verträge Schrift-
lichkeit, das bayrische Recht die Errichtung einer notariellen, das württem-
bergische Recht die Errichtung einer gerichtlichen Urkunde vorgeschrieben.
V. 1. Der Satz, daß ein Schuldner, der laut Vereinbarung mehr als
6 % Zinsen zahlen muß, das unverzichtbare Recht hat, die Kapitalschuld binnen
bestimmter Frist zu kündigen, ist bereits durch norddeutsches Bundesgesetz vom
14. Nov. 1867 eingeführt, hatte aber in Bayern und einigen andern Rechts-
gebieten keine Geltung.
2. Der gesetzliche Zinsfuß betrug nach bisherigem Recht 5%.“
3. Das Verbot der Vereinbarung von Zinseszinsen hatte nach bisherigem
Recht nicht in allen Teilen Deutschlands Geltung; insbesondre galt es nicht
in Hamburg und Frankfurt a. M.
VI. 1. a) Das mittelalterliche Recht hat die Regel, daß, wer einem
andern Schadensersatz zu leisten hat, das ganze „Interesse“ des andern
erstatten muß, so wie es sich nach den besondern Umständen des Einzelfalls
gestaltet, nicht gekannt; eine derartige Regel widerspricht der Vorliebe unfres
alten Rechts für einfache, typische Rechtsverhältnisse. Vielmehr hat das mittel-
alterliche Recht den Inhalt und Umfang der Schadensersatzansprüche wenigstens
der Regel nach schablonenmäßig bestimmt: es hat die Ansprüche immer auf
Schäden bezogen, die „gewöhnlich“ vorzukommen pPflegen. Freilich wurde die
Schablone allmählich freier. Der kühne Gedanke aber, daß man die Schablone
ganz entbehren und rein individuell verfahren könne, beherrscht unser Recht
erst seit der Rezeption.“
b) Doch ist unserm Recht zunächst vor seiner eignen Kühnheit bange
gewesen. Denn es hat, indem es den Schadensersatzanspruch des Geschädigten
2) Siehe oben § 76a I, 4. 3) Eccius 1 8 83 11.
4) Mot. 2 S. 1891. 5) Mot. 2 S. 196.
6) Mot. 2 S. 15. 7) Mot. 2 S. 196. 8) Heusler 1 S. 63.