476 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen.
nicht den vollen Betrag der Forderung, sondern nur den Betrag des Kauf-
preises beitreiben dürfe.21 Die meisten dieser Bestimmungen sind aber bereits
vor Erlaß des bürgerlichen Gesetzbuchs aufgehoben worden.
Aufgehoben ist I. die Beschränkung des Verkaufs der Früchte auf dem Halm in
Mürttemb. 1839, in Preußen 1843, in Bayern 1871, II. die Anfechtung wegen laesio
enormis für Handelsgeschäfte durch das ältere HGB. 286, allgemein in Sachsen (1863)
Bremen, Hamburg, III. die les Anastasiana für Handelsgeschäfte durch das ältere HGB.
299, außerdem in Preußen (1864), Hamburg, Bremen usw.
IX. 1. Nach französischem Recht kam der Schuldner in Zahlungsverzug
nur durch eine „Sommation“, d. h. eine förmliche, durch einen Notar oder
Gerichtsvollzieher übermittelte Mahnung.à2
2. Nach französischem Recht mußte sich ein Gläubiger, der wegen einer
Geldschuld bei Verzug des Schuldners Schadensersatz wegen Verspätung
foderte, mit den Verzugszinsen begnügen, auch wenn sein Schaden nachweis-
lich größer war; das gleiche galt nach preußischem Recht, es sei denn, daß
der Schuldner sich böswillig oder grobfahrlässig verhalten hatte.s
3. Nach bisherigem gemeinen, preußischen und sächsischen Recht hatte der
Gläubiger bei Verzug des Schuldners im allgemeinen bloß das Recht auf
nachträgliche Erfüllung und Schadensersatz wegen Verspätung; das Recht auf
Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder auf einfachen Rücktritt vom Ver-
trage hatte der Gläubiger nur, wenn die nachträgliche Erfüllung wegen ihrer
Verspätung nachweislich kein Interesse für ihn hatte.?" Dagegen standen das
französische Recht und beim Kauf auch das ältere Handelsgesetzbuch in der
Behandlung des säumigen Schuldners dem bürgerlichen Gesetzbuche nahe.
X. 1. Nach bisherigem Recht war es streitig, ob ein Gläubiger auch dann
in Annahmeverzug geriet, wenn er an der Annahme durch Umstände, die er
nicht zu vertreten hatte, gehindert war.é
2. Das bisherige preußische, französische und sächsische Recht gab dem
Schuldner bei Annahmeverzug des Gläubigers das Recht zum Selbsthülfe-
verkauf gar nicht oder doch nur in Notfällen.
3. Nach bisherigem gemeinen und preußischen Recht erlosch der Zinslauf
bei einer verzinslichen Schuld nicht schon durch den Annahmeverzug des
Gläubigers, sondern erst durch die Hinterlegung der Schuldsumme.
XI. Die Aufrechnung wurde nach bisherigem Recht nicht als selbständiges,
konstitutiv wirkendes Rechtsgeschäft, sondern als Erhebung einer Einrede auf-
21) Windscheid 2 § 333.
22) Förtsch S. 169.
23) C. c. 1153; pr. LR. I, 11 §§ 833, 834.
24) Windscheid 2 § 2801; Dernb. pr. PrR. 2 § 72; sächs. G. 864, 865.
25) C. c. 1184; älteres HGB. 354, 355.
26) Windscheid 2 § 345 10; Dernb., pr. Pr R. 2 § 73 1.
27) Mot. 2 S. 93.
28) Windscheid 2 § 346“; Dernb. pr. Pr R. 73 12.