8 10. Gewohnheitsrecht. 8 11. Recht der Wissenschaft. 33
III. Das bürgerliche Gewohnheitsrecht ist, gerade wie das bürgerliche
Eesetzesrecht, entweder zwingendes oder nachgiebiges Recht.
Beispiele. Zwingend ist von den oben zu I, 1 genannten Gewohnheiten die erste, nach-
giebig die zweite.
4. Bas Recht der Wissenschaft.
8 11.
Das deutsche bürgerliche Recht der Wissenschaft gewährt das gleiche bunte
Bild wie das deutsche bürgerliche Gesetzes- und Gewohnheitsrecht. Denn es ist
Reichs oder Landes= oder autonomes, gemeines oder partikuläres, zwingendes
oder nachgiebiges Recht. Doch ist es nicht erforderlich, an dieser Stelle auf alle
Arten des Rechts der Wissenschaft einzugehn; vielmehr werden folgende Be-
merkungen über das wissenschaftliche Reichsrecht genügen.
I. Das wissenschaftliche Reichsrecht beruht entweder auf analoger An-
wendung einer durch Reichsgesetz oder Reichsgewohnheit eingeführten Regel
oder auf einem von Reichs wegen zu berücksichtigenden Bedürfnis des praktischen
Rechtslebens.
Beispiele. I. Wenn eine Fahrnissache, die der Eigentümer einem Gläubiger als Faustpfand
übergeben hat, diesem von einem dritten entwendet und demnächst an einen vierten veräußert
wird, behält nach reichsgesetzlicher Vorschrift sowohl der Eigentümer wie der Pfandgläubiger
sein Recht an der Sache: der eine wie der andre kann also die Sache dem vierten abfordern,
seldst wenn dieser den Dieb in entschuldbarem Irrtum für den Eigentümer der Sache ge-
lolten hat und auch von der Verpfändung der Sache nichts hat wissen können (935, 936). Nach
Analogie dieser Vorschrift ist folgende Norm zu bilden, die, obschon sie weder durch Reichs-
gesetz noch durch Reichsgewohnheit anerkannt ist, dennoch einen Teil unfres geltenden Reichs-
rechts bildet: wenn eine Fahrnissache, die der Eigentümer einem Gläubiger als Faustpfand
übergeben hat, diesem von dem Eigentümer selbst entwendet und demnächst an einen dritten
deräußert wird, behält der Pfandgläubiger sein Pfandrecht an der Sache, während der
Eigentümer sein Recht an der Sache einbüßt: es kann also zwar nicht der Eigentümer, wohl
aber der Pfandgläubiger die Sache dem dritten abfordern, selbst wenn dieser von ihrer
Verpfändung nichts hat wissen können. II. Die Frage, nach welchem Recht eine Forderung
beurteilt werden muß, die zwischen Ausländern im Auslande vertragsmäßig begründet wurde,
ober nach einer Klausel des Vertrages in Deutschland erfüllt werden soll, ist weder gesetzlich
noch durch eine sichere Gewohnheit geregelt; ebensowenig gibt es gesetzliche oder gewohnheits-
mäßige Regeln, die eine analoge Anwendung auf die Frage gestatten. Die Lücke ist dem
Bedürfnis des Rechtslebens folgend dahin auszufüllen, daß, mindestens was den Inhalt
der Forderung betrifft, deutsches Recht zur Anwendung kommen muß.
II. Der Geltungsbereich des wissenschaftlichen Reichsrechts ist gesetzlich
nicht beschränkt. Er umfaßt demgemäß, wie das der Reichsgesetze und des
Reichsgewohnheitsrechts, das ganze Gebiet des bürgerlichen Rechts.
III. Der Rang des wissenschaftlichen Reichsrechts ist gesetzlich nicht
normiert. Demgemäß ist anzunehmen,“ daß ihm der gleiche Rang zukommt
1) Siehe unten § 198 VII, 2. 2) Siehe den Zusatz hinter Buch II, Abschnitt 1.
3) Siehe aber oben § 8 IV.
Cosad, Vurgerl. Recht. 6. Aufl. 3