Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 123. Übergabe der Kaufsache. Verzug des Verkäufers. Nachfrist. 495 
es etwa ein Nachteil für den Verkäufer, wenn er die Fristsetzung des Käufers schon vor 
Beginn seines Verzuges erfährt? 
6) Die Bestimmung der Nachfrist muß aus eignem Antriebe des Käufers 
geschehn: daß der Verkäufer die Nachfrist erst besonders erbitten müßte, ist 
nicht vorgeschrieben. 
) Die Bestimmung der Nachfrist muß mit der Erklärung erfolgen, daß 
der Käufer nach Ablauf der Frist die Annahme der Nachlieferung ablehne. 
Dadurch unterscheidet sie sich aufs schärfste von einer gewöhnlichen Mahnung 
zur Nachlieferung. 
Beispiel. Das Haus, das A. von B. gekauft hat, soll vertragsmäßig am 1. Mai über- 
geben werden. Hier genügt, wenn B. in Verzug gerät, eine Nachfristbestimmung, die lautet: 
„nach dem 15. Mai nehme ich das Haus nicht mehr", „wenn Sie mir das Haus bis zum 
15. Mai nicht übergeben, können Sie es behalten“, „am 16. Mai kaufe ich mir ein andres 
Haus“. Dagegen wäre die Nachfristbestimmung ungültig, wenn ihr Wortlaut wäre: „ich 
setze Ihnen jetzt eine allerletzte Frist bis zum 15. Mai“, „ich setze Ihnen eine Nachfrist bis 
zum 15. Mai; nach dem Ablauf werde ich mich nach einem andern Hause umsehn“. 
0) Die Bestimmung der Nachfrist muß eine „angemessene“ sein. Eine 
unangemessene Fristbestimmung ist also unwirksam und steht einer gänzlichen 
Fristverweigerung gleich. Doch gilt eine Fristbestimmung nur dann als un- 
angemessen, wenn sie allzu kurz ausgefallen ist, während es bei der Bewilligung 
einer unangemessen langen Frist einfach sein Bewenden behält. 
Beispiel. A. soll ein dem B. am 1. Mai verkauftes Haus am 15. Mai übergeben, 
versäumt aber den Übergabetermin; nun setzt B. ihm eine Nachfrist bis zum 20. Mai; 
A. bietet aber die Übergabe erst am 1. Oktober an; B. weist sie als verspätet zurück; als es 
wegen des Streits hierüber zum Prozeß kommt, entscheidet das Gericht, B. habe die Nachfrist 
um einen Tag zu kurz bestimmt. Hier ist B. im Unrecht; denn er ist so zu behandeln, als 
habe er eine Nachfrist überhaupt nicht bestimmt, und muß demnach das Haus noch am 
1. Oktober annehmen. 
Es liegt sehr nahe, die eben gegebene Entscheidung für sinnlos zu erklären; wie soll 
es sich rechtfertigen lassen, daß B., weil er die Nachfrist um einen einzigen Tag zu kurz 
bestimmt hat, die Kaussache nicht nur noch am ersten Tage nach Ablauf dieser Frist, sondern 
sogar noch volle drei Monate später annehmen muß? Allein das Gesetz hat es nun einmal 
so angeordnet, was insbesondre dann deutlich wird, wenn man die etwas unbestimmte 
Fassung der hier maßgebenden Gesetzesstelle (326: „wenn nicht die Leistung rechtzeitig er- 
folgt“) mit der bestimmtern Fassung einer andern verwandten Vorschrift (354: „wenn nicht 
die Rückgewähr vor dem Ablauf der Frist erfolgt“) vergleicht. Auch ist die Anordnung des 
Gesetzgebers wohl nicht ganz so sinnlos wie sie scheint. Vielmehr kann der Käufer der ihm 
vom Gesetz gestellten Falle entrinnen, wenn er entweder die Frist vorsichtshalber so lang 
bestimmt, daß selbst ein sehr langmütiger Richter sie für lang genug befinden muß, oder 
wenn er sich bei seiner Fristbestimmung absichtlich undeutlich ausdrückt, also etwa mit den 
eignen Worten des Gesetzes dem Verkäufer „eine angemessene Frist“ bestimmt, ohne hinzu- 
zufügen, wieviel Stunden, Tage oder Wochen diese Frist dauern soll. Doch ist auf das 
letzte Auskunftsmittel kein sicherer Verlaß, weil vielfach behauptet wird, der Käufer müsse 
sich über die Dauer der Frist bestimmt äußern.?7 
6) Planck Anm. 2b zu § 250; Endemann 1 S. 708“2. Abw. unfre 4. Aufl. 1 
S. 422/#y; RG. 56 S. 234, 62 S. 68, 68 S. 333; Romeick, z. Technik des BGB. 1 S. 44, 49. 
7) So unfre 4. Aufl. 1 S. 42250; Wendt, Arch. f. ziv. Pr. 92 S. 194. Wie oben 
Planck Anm. 2a zu § 250; Romeick a. a. O. S. 40, 49.
	        
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