Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

38 Buch I. Abschnitt 1. Die Rechtsregeln. 
schränkt, weil es gerade diesen Fall für besonders eigenartig hielt, so ist eine 
analoge Anwendung der Regel auf andre Fälle ausgeschlossen: indem man 
annimmt, daß das Gesetz durch die Feststellung der Regel für jenen Einzelfall 
lediglich eine Ausnahme von den sonst geltenden allgemeinen Prinzipien zu- 
gelassen hat, muß man ebendiese Feststellung, gerade weil sie so beschränkt 
ist, als Argument gegen eine analoge Anwendung der Regel auf andre Fälle 
verwerten. Man drückt dies (ungenau) durch die Formel aus: Ausnahme- 
gesetze sind strikt zu interpretieren. 
Beispiele. I. Das B#B. spricht ein Recht am eignen Namen nur den „natürlichen“ 
Personen, zu deutsch, den Menschen zu (12). Es ist aber unbedenklich, analog auch juristische 
Personen mit einem Namensrecht auszustatten; denn iene Regel enthält offenbar keine bloße 
Ausnahmevorschrift zugunsten der „natürlichen“ Personen. II. Das BGB. bestimmt, daß 
juristische Personen für alle Delikte, die ihre verfassungsmäßig berufenen Vertreter in 
Ausübung der ihnen zustehenden Verrichtungen begehn, unbedingt haftbar sein sollen (31, 
86, 89). Diese Regel darf nicht analog auf nicht rechtsfähige Vereine oder gar auf gewöhnliche 
Gesellschaften übertragen werden: denn sie soll, wie ein Vergleich mit andern Bestimmungen 
des BGB.s8 (z. B. mit 831) ergibt, eine Ausnahmevorschrift zum Nachteil juristischer Personen 
sein. III. Die Konk Ordn. läßt die Eröffnung eines selbständigen Konkurses über das Ge- 
sellschaftsvermögen der offenen Handels= und der Kommanditgesellschaft zu (KO. 209). Ob 
diese Regel analog auch auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechis angewendet werden kann, 
ist zweifelhaft. Denn es ist schlechterdings nicht ersichtlich, ob sie nur ein für alle Gesell- 
schaften gültiges Prinzip gerade für die Handelsgesellschaften bestätigen oder aber eine Aus- 
nahmevorschrift für die Handelsgesellschaften aufstellen will. 
4. a) Nicht selten ist die Auslegung einer Rechtsformel dadurch gebunden, 
daß gewissen darin gebrauchten Ausdrücken durch Gesetz authentisch ein be- 
stimmter Sinn beigelegt wird, der ihnen nach dem sonstigen — populären 
oder juristischen — Sprachgebrauch nicht innewohnt. 
#) Eine solche authentische Wortinterpretation kann ausdrücklich geschehn. 
So ist bestimmt, daß im bürgerlichen Gesetzbuch und dem Einführungsgesetz 
dazu der Ausdruck „Bundesstaat“ nicht bloß die wirklichen Bundesstaaten, 
sondern auch Elsaß-Lothringen, der Ausdruck „Gesetz“ nicht bloß die wirklichen 
Gesetze, sondern auch alle andern Rechtsnormen, vor allem die des Gewohn- 
heitsrechts mit umfassen soll (EG. 5, 2). Hierher gehört sodann die Be- 
stimmung des Kaufmannsbegriffs im Handelsgesetzbuch (HGB. 1). Hierher 
gehört ferner der in neueren Gesetzen häufig angewendete Trick, daß irgend ein 
juristischer Begriff möglichst scharf formuliert und ihm dann eingeklammert 
ein kurzes Wort zugefügt wird, das demnächst stets als Name jenes Begriffs 
dient; in dieser Weise ist höchst willkürlich, aber auch höchst authentisch 
im bürgerlichen Gesetzbuch der Sinn der Worte „unverzüglich“ (im Gegensatz 
zu „sofort“), der Worte „Zustimmung“, „Einwilligung“, „Genehmigung“, usw. 
festgelegt (121, 183, 184). 
6) Die authentische Wortinterpretation kann aber auch stillschweigend 
erfolgen, indem ein Gesetz irgendwo einen Ausdruck in einem bestimmten un- 
zweideutigen Sinn verwendet und nun vorausgesetzt werden darf, daß dasselbe 
Gesetz den nämlichen Ausdruck immer in dem nämlichen Sinn gebrauchen
	        
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