42 Buch J. Abschnitt 1. Die Rechtsregeln.
statut, d. h. nach dem Recht des Staats beurteilt, in dessen Gebiet die Sache
sich in dem maßgebenden Zeitpunkt befunden hat.
) Die Rechtsfolgen eines Delikts werden nach dem Statut des Orts
der Tat, d. h. nach dem Recht des Staats beurteilt, in dessen Gebiet das
Delikt begangen worden ist.“
Beispiel. Dem A. in Lüttich ist eine kleine Porzellanfigur abhanden gekommen; später
hört er, daß sein Diener B. sie ihm entwendet und an einen damals in Lüttich angestellten,
jetzt aber nach Maastricht verzogenen dänischen Staatsangehörigen C. veräußert hat. Als
A. bald darauf zufällig nach Maastricht kommt, geht er zu C., um sein Eigentum zu re-
klamieren, obschon er daran, daß C. bei dem Erwerbe des Figürchens in gutem Glauben
gewesen ist, keinen Zweifel hat. C. ist indes nicht zu Hause, und auch seine Frau läßt sich
aus Angst vor etwaigem Streit nicht sehn; wohl aber meldet sich C.#s achtjähriger Sohn,
holt, als er A.k Begehren hört, diensteifrig das Figürchen herbei, schlägt damit hin und
zerschmettert es. Nun fordert A. von dem kleinen C. und seinen Eltern Schadensersatz und
verklagt, da C. inzwischen nach Aachen verzogen ist, alle drei beim dortigen Amtsgericht, das
Kind, weil es mit der Figur unvorsichtig umgegangen sei, die Mutter, weil sie auf das
Kind nicht ordentlich aufgepaßt habe, den Vater, weil er kraft ehelichen Güterrechts für alle
Schulden seiner Frau mit hafte. Hier hat das Aachener Gericht sein Urteil teils nach
belgischen, teils nach niederländischen, teils nach dänischen Gesetzen zu fällen, während die
deutschen Gesetze bei dem ganzen Streit, obschon der Prozeß in Nachen spielt, außer An-
wendung bleiben. Die belgischen Gesetze sind für die Frage moßgebend, ob A. seiner Rechte an
dem Figürchen nicht dadurch verlustig gegangen ist, daß C. es von B. gutgläubig erworben
hat (Realstatut des Figürchens!), die niederländischen für die Frage, ob das Kind und seine
Mutter für die Beschädigung des Figürchens haftbar sind (Statut des Orts der Tat.), die
dänischen für die Frage, ob C. für die Schulden seiner Frau mit haftet (Personalstatut C.S!).
2. Unser Prinzip des internationalen Privatrechts hat eine allgemeine
authentische Anerkennung durch Gesetz oder Gewohnheit bisher noch nicht ge-
funden. Auch läßt sich es nicht auf die Analogie irgendwelcher gesetzlicher
oder gewohnheitsrechtlicher Einzelregeln stützen; freilich gibt es solche Einzel-
regeln, wie wir alsbald sehn werden, in großer Zahl; sie sind aber lücken-
haft und überdies untereinander so ungleich, daß sich ein allgemeines Prinzip
aus ihnen nicht ableiten läßt. Die einzige Stütze unfres Prinzips ist vielmehr
das Bedürfnis des Rechtslebens.7
Gründe. I. Unstreitig ist, daß unser deutsches Recht nicht auf alle Rechtsfragen an-
gewendet sein will, die in Deutschland, insbesondre vor deutschen Behörden, zufällig ver-
handelt werden, sondern nur auf solche Rechtsfragen, die ihrem Inhalt nach die deutsche
Rechtsordnung „angehn“. II. Unstreitig ist ferner, daß unser deutsches Recht eine Kollision
mit auswärtigen Rechten tunlichst vermeiden will und deshalb selbst bei solchen Rechts-
fragen, die die deutsche Rechtsordnung tatsächlich angehn, auf die Anwendung seiner Regeln
Verzicht leistet, wenn die Fragen irgendeine andre Rechisordnung noch mehr angehn als
die deutsche. III. Daraus ergibt sich ganz von selbst die Norm: jede Rechtsfrage ist grund-
sätzlich nach dem Recht des Staats zu enischeiden, dessen Rechtsordnung sie „am meisten“
angeht. Unser Prinzip ist aber nur eine etwas schärfere Formulierung dieser Norm.
IV. Unser Prinzip eignet sich dazu, grundsätzlich — wenn schon vielleicht mit gewissen Aus-
nahmen und Vorbehalten — von allen zivilisierten Staaten anerkannt zu werden, weil es
in der Praxis zu angemessenen Ergebnissen führt und den gesetzgeberischen Interessen aller
5) Genaueres s. unten Buch III Abschn. 1.
6) Genaueres s. unten bei Anm. 14 a sowie im Zusatz zu Buch II Abschn. 2.
7) Siehe oben § 8 I, 4.