646 Buch II. Abschnitt 2. Einzelne Arten der Forderungen.
XVI. Die Geschäftsführung ohne Auftrag.“
155.
I. 1. Bei der auftraglosen Geschäftsführung (negotiorum gestio)
sind zwei Personen, der Geschäftsführer und der Geschäftsherr, in der Art
beteiligt, daß der erstere ein Geschäft des letzteren in dessen Interesse be-
sorgt, obschon er dazu nicht ermächtigt, geschweige denn verpflichtet ist (677).
Meistens hat der Geschäftsherr dem Gebahren des Geschäftsführers nicht im
voraus zugestimmt; er weiß sogar häufig nichts davon. Doch gehört auch
eine Geschäftsführung, die mit Zustimmung des Geschäftsherrn erfolgt, hierher,
wenn die Zustimmung ungiültig ist.
Beispiel. I. A. sorgt für seinen vom Schlage getroffenen Freund B., indem er in B.s
Namen eine Krankenpflegerin annimmt und in eignem Namen, aber für B.s Rechnung
Arzneien kauft. II. Der Arzt C. nimmt an D. mit dessen Einwilligung eine Operation
vor; die Einwilligung ist aber unwirksam, weil D. noch minderjährig ist und sein Vater
der Operation nicht zustimmt.
Der Begriff der Geschäftsbesorgung ist in dem bereits oben in der Lehre vom Dienst-
vertrage entwickelten Sinn zu verstehn (s. oben S. 594). Er umfaßt also nicht bloß die
Vornahme von Rechtsgeschäften, sondern auch rein tatsächliche Handlungen; ob die Geschäfte
das Vermögen oder die Person des Geschäftsherrn betreffen, ist gleichgültig. Siehe die
vorstehenden Beispiele.
2. a) Hiernach steht die „auftraglose“ Geschäftsführung im Gegensatz zu
einer Geschäftsbesorgung, die kraft eines zwischen dem Geschäftsherrn und dem
Geschäftsführer abgeschlossenen rechtsgültigen Dienst- oder Werkvertrages, kraft
eines rechtsgültigen Gesellschaftsvertrages, kraft elterlicher oder vormundschaft-
licher Gewalt, kurz kraft eines Rechts zur Geschäftsführung erfolgt.
b) Ein andrer Gegensatz zur auftraglosen Geschäftsführung ist die unbe-
rechtigte Führung der Geschäfte eines andern im eignen Interesse oder im In-
teresse eines Dritten. Doch kann man eine derartige Geschäftsführung auch
als „uneigentliche auftraglose Geschäftsführung“ bezeichnen.
3. a) Dem Erfordernis, daß die auftraglose Geschäftsführung im In-
teresse des Geschäftsherrn geschieht, ist genügt, wenn der Geschäftsführer diese
Interessen mit den eignen Interessen oder mit den Interessen Dritter gemein-
sam verfolgt. Das Interesse des Geschäftsherrn braucht also nicht auschließlich
maßgebend zu sein.
b) Eine auftraglose Geschäftsführung liegt auch dann vor, wenn der Ge-
schäftsführer sich in einem Irrtum über die Person des Geschäftsherrn befindet.
1) Sturm, Geschäftsf. ohne Auftrag (97); Isay, Geschäftsführung (00); v. Tuhr, actio
de in rem verso (95); Zitelmann, Arch. f. ziv. Pr. 99 S. 1: Ernst, ebenda 96 S. 440;
Brückmann, Rechte des Geschäftsführers ohne Auftrag (03); Streber, Wille u. Interesse des
Geschäftsherrn (07).
2) Crome 2 8 254 Nr. 1; abw. Isay S. 46 ff.