§ 14. Rückwirkung neuer Gesetze. 49
Man kann diese Regel durch die oft gebrauchte, aber ungenaue und vieldeutige
Formel ausdrücken: neue Gesetze haben keine rückwirkende Kraft.
b) Die Wirkungen eines Tatbestandes, der zeitlich ganz unter die Herr-
schaft des neuen Rechts fällt, folgen ausschließlich dem neuen Recht: der Tat-
bestand wirkt also, auch wenn das unmittelbar vorher in Geltung gewesene
alte Recht völlig abweichende Bestimmungen enthielt, gerade so stark oder so
schwach, als das neue Recht es bestimmt.
c) Die Wirkungen eines Tatbestandes, der zeitlich zum Teil unter die
Herrschaft des alten, zum Teil unter die Herrschaft des neuen Rechts fällt, folgen
in Ansehung des ersten Teils ausschließlich dem alten, in Ansehung des zweiten
ausschließlich dem neuen Recht. Soweit die hiernach anwendbaren Regeln des
alten und neuen Rechts nicht zueinander passen, heben sie sich gegenseitig auf,
so daß der Tatbestand insoweit wirkungslos bleibt.
Beispiele. I. Der in Gießen wohnende hessische Staatsangehörige A. ist in der Neu-
jahrsnacht von 99 auf 00 ohne Hinterlassung eines Testaments gestorben; anfangs hat sich
niemand um seinen Nachlaß gekümmert, weil A. für unbemittelt galt; erst als es sich im
Jahre (8 zufällig herausstellt, daß die Hinterlassenschaft A.s sehr beträchtlich ist, streiten
seine beiden nächsten Angehörigen, nämlich sein Großonkel B.
und der Sohn eines vorverstorbenen Vetters C., darum, wer 8
von ihnen Erbe sei. Hier kommt nicht eiwa das C8, sondern das -
beim Tode A.s geltende Erbrecht zur Anwendung. Es ist also 6 OB
zu unterscheiden wie folgt: 1. War A. eine Minute vor Mitter-
nacht gestorben, so ist das alte Recht, in unserm Fall das römische,
maßgebend. Diesem zufolge ist Erbe B.; denn er ist im 4., C- r 9
ist erst im 6. „Grade“ mit A. verwandt, und das römische Erb-
recht läßt in einem Fall wie dem unsern lediglich die Nähe des +4A
Grades entscheiden.“ 2. War A. eine Minute nach Mitternacht i
gestorben, so ist das neue Recht des BGB.s maßgebend. Diesem
zufolge ist Erbe C.; denn er ist in der 3. (großväterlichen), B. O6
ist erst in der 4. (urgroßväterlichen) „Ordnung“ mit A. verwandt, und das Erbrecht des
Bo###.##äßt, ohne auf die Gradesnähe zu achten, lediglich die Nähe der Ordnung entscheiden
(1926, 1928, 1930). II. Derselbe Fall wie zu I, 1; nur hat A. anfangs 99 privatschriftlich
ein Testament gemacht, in dem er seine beiden Angehörigen B. und C. von der Erbfolge
ausgeschlossen und als alleinige Erben die Gießener Universität berufen hat. Hier kommt teils
das vor 99 zur Zeit der Testamentserrichtung, teils das 00 zur Zeit des Todes A.s geltende
also teils das römische Recht, teils das Recht des BGB.s zur Anwendung: nach jenem ist
die Frage zu entscheiden, ob das Testament A.3 gültig errichtet ist, nach diesem die Frage,
welche Schritte die Universität Gießen tun muß, um sich die Erbschaft zu sichern.
Verwickelter, aber um so lehrreicher sind folgende Beispiele. I. Der in Neuruppin
wohnhafte preußische Staatsangehörige D. inseriert Ende 99 in der Zeitung, daß er sein
ebenda belegenes Haus verkaufen will; sein Nachbar E. macht ihm brieflich ein Kaufgebot
und bewilligt ihm eine Annahmefrist von einer Woche; da D. gerade verreisen muß, be-
vollmächtigt er seine Frau mündlich, das Gebot nach eigenem Ermessen anzunehmen, und
Frau D. erklärt denn auch noch vor Ablauf der Frist in notarieller Urkunde die Annahme;
als nun E. im Februar 00 von dem inzwischen zurückgekehrten D. die übereignung und
übergabe des Hauses fordert, weist D. ihn mit der Begründung ab, der Kaufabschluß sei
nicht formgerecht erfolgt und deshalb ungültig. Hier ist auf den Kaufvertrag nicht etwa
einhbeitlich das im Februar 00 geltende Recht anzuwenden, sondern jeder der drei Rechtsakte,
DLa) Siehe auch unten S. 57, 3b.
3) Über die Begriffe Grad und Ordnung s. unten § 35.
Cosed, Bürgerl. Recht. ö5. Aufl. I. 4