Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 158. Bürgschaft. Form. Haftung des Bürgen. 659 
Gläubigerpflichten nicht positiv klagen, sondern nur negativ, solange die 
Gläubigerpflichten unerfüllt sind, auch die Erfüllung der Bürgenpflichten ver- 
weigern. Im folgenden soll deshalb auch nur von den Verpflichtungen des 
Bürgen, nicht von seinen Rechten gegenüber dem Gläubiger die Rede sein. 
1. Der Bürge hat die Verpflichtungen des Hauptschuldners zu erfüllen, aber 
nur soweit, als er die Bürgschaft für sie übernommen hat. Sonach gehn seine 
Verpflichtungen niemals über die des Hauptschuldners hinaus (767 1 Satz 1): 
ist die Verpflichtung des Hauptschuldners unverzinslich, so braucht auch der Bürge 
keine Zinsen zu zahlen; steht der Hauptschuldner nur für grobes Verschulden 
ein, so ist auch die Haftung des Bürgen auf grobes Verschulden beschränkt usw. 
Dagegen können die Verpflichtungen des Bürgen sehr wohl hinter denen des 
Hauptschuldners zurückbleiben: während der Hauptschuldner Kapital und Zinsen 
schuldet, kann der Bürge sich vielleicht bloß für die Kapitalschuld verbürgt, wenn 
der Hauptschuldner für Zufall haftet, kann er vielleicht die Haftung bloß für ein 
Verschulden des Hauptschuldners übernommen haben usw. Ob die Verpflichtung 
des Bürgen sich mit der des Hauptschuldners decken oder hinter ihr zurück- 
bleiben soll, ist durch gewöhnliche Auslegung der Bürgschaftserklärung zu er- 
mitteln. Nur nach drei Richtungen greifen gesetzliche Vorschriften Platz, eine 
zugunsten, zwei zuungunsten des Bürgen. 
a) Zugunsten des Bürgen ist bestimmt, daß seine Verpflichtung durch 
ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft 
vornimmt, wohl beschränkt, nicht aber erweitert werden kann (767 1 Satz 3).4 
b) Zuungunsten des Bürgen ist bestimmt, daß seine Haftung durch eine 
Anderung der Verpflichtung des Hauptschuldners, die nachträglich auf nicht 
rechtsgeschäftlichem Wege, etwa durch Verzug oder Verschulden des Haupt- 
schuldners eintritt, nicht bloß beschränkt, sondern auch erweitert wird (767 I. 
Satz 2).1 
c) Zuungunsten des Bürgen ist ferner bestimmt, daß seine Haftung sich 
auch auf die Kosten der Kündigung und gerichtlichen oder außergerichtlichen 
Beitreibung der Hauptschuld bezieht, soweit diese Kosten dem Gläubiger vom 
Hauptschuldner zu ersetzen sind (767 ID). 
Beispiel. A. hat 1910 an B. eine Wohnung auf unbestimmte Zeit gegen einen Miet- 
zins von 1000 Mk. jährlich vermietet; für 1913 vereinbaren A. und B. eine Erhöhung des 
Mietzinses auf 1200 Mk., von 1914 ab eine Ermäßigung auf 900 Mk.; zum 1. Januar 1915 
kündigt B. die Wohnung, nimmt aber im Einverständnis mit A. die Kündigung zurück. 
Hier haftet C., der die Bürgschaft für die Verpflichtungen des B. aus dem Mietvertrage 
übernommen hat, für den Mietzins von 1000 Mk. bis 1913, von 900 Mk. bis 1. Januar 
1915; hat B. die Wohnung vor 1915 schuldhaft beschädigt, so ist C. gleichfalls haftbar. 
Dagegen haftet C. für die Mieterpflichten B.s von 1915 ab und für die Mieterhöhung des 
Jahres 1913 nicht. 
2. a) Der Bürge kann alle Einreden und Einwendungen, die dem Haupt- 
schuldner gegen den Gläubiger zustehn, gleichfalls geltend machen, mögen sie 
4) Siehe auch RG. 56 S. 111, 53 S. 357, 59 S. 223. 
4a) Siehe Westerkamp S. 373. 
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