Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 162. Abstrakte Schuldverträge. 673 
andernfalls das Anerkenntnis eines gegenseitigen Schuldverhältnisses unmög- 
lich sein. 
) Ebenso bildet eine Ausnahme die Ausstellung und Annahme einer An- 
weisung: auch sie stellt einen abstrakten Schuldvertrag dar (s. oben S. 628, 629). 
3. Die Loslösung eines Schuldversprechens von seinem Schuldgrunde gibt 
dem Gläubiger eine ausgezeichnete Angriffsstellung gegen den Schuldner. Denn 
sie nimmt ihm die Last ab, jedesmal, wenn er einen vertragsmäßigen Anspruch 
erhebt, erst weitläufig dessen Grund darzulegen. Daß diese Bevorzugung des 
Gläubigers auf der andern Seite eine empfindliche Benachteiligung des 
Schuldners bedeutet, liegt auf der Hand. 
Beispiel. Der Verkäufer, der für das von ihm verkaufte Getreide den auf 1000 Mk. 
festgesetzten Kaufpreis einfordert, muß beweisen, daß er das Getreide geliefert oder, wenn 
die Annahme vom Käufer verweigert war, daß er das Getreide in gehöriger Menge und Be- 
schaffenheit dem Käufer angeboten hat. Hat aber der Käufer über die 1000 Mk. einen ab- 
strakten Schuldschein ausgestellt, so ist der Verkäufer dieser Beweislast enthoben. 
II. Gegenstand des abstrakten Schuldvertrages kann jede beliebige der 
Verfügung des Schuldners unterliegende Leistung sein. Weitaus am häufigsten 
gehn die abstrakten Schuldverträge auf eine festbestimmte Geldzahlung. 
III. 1. Beim Abschluß eines abstrakten Schuldvertrages muß die Los- 
lösung des Schuldversprechens von dem Schuldgrunde als Absicht beider Par- 
teien unzweideutig erklärt werden. Dazu ist es aber weder erforderlich noch ge- 
nügend, daß die Parteien beim Vertragsschluß den Schuldgrund nicht erwähnen. 
a) Es ist nicht erforderlich. Denn aus der Erwähnung des Schuldgrundes 
folgt noch nicht, daß die Parteien die Vertragspflichten von dem Schuldgrunde 
abhängig machen wollen. 
b) Es ist nicht genügend. Denn aus der Nichterwähnung des Schuld- 
grundes, die ja auf einem bloßen Versehn beruhen mag, folgt noch nicht, daß 
die Parteien die Vertragspflichten von dem Schuldgrunde unabhängig machen 
wollen. 
Beispiele. Zu a: Kaufmann A. übergibt dem Gläubiger B. einen formularmäßigen, 
den Schuldgrund nicht bezeichnenden Verpflichtungsschein und sagt dazu mündlich: hier ist 
der Darlehnsschuldschein. Zu b: Pferdehändler C. schreibt an D.: „den Schimmel Hans 
schicke ich Ihnen morgen: ich verspreche es bestimmt“, wobei hinter dem Worte Hans die 
Worte „den Sie von mir gekauft haben“ nur unabsichtlich ausgelassen sind. 
2. Der Abschluß eines abstrakten Schuldvertrages ist in der selben Art 
formalisiert wie der Abschluß eines Anerkenntnisvertrages (780, 782): er be- 
darf also regelmäßig zur Gültigkeit einer schriftlichen Erklärung des Schuldners, 
wenn nicht der Gegenstand des Vertrages die Beobachtung einer strengern 
Form mit sich bringt.? 
Zu den oben § 161 III, 1 erwähnten Ausnahmen vom Schriftzwange tritt hier 
vielleicht noch eine weitere hinzu: 2 der abstrakte Schuldvertrag ist formlos gültig, wenn er 
die Übernahme der bereits bestehenden Schuld eines Dritten betrifft, sei es, daß der Über- 
nehmende einziger Schuldner, sei es, daß er Mitschuldner des Dritten werden will. Da- 
2) RG. 52 S. 40, 71 S. 292. 2a) Vgl. Rümelin S. 239. 
Cosack, Bürgerl. Recht. 5. Aufl. I. 13
	        
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