Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 163. Delikte. Schuld. Vorsatz. Strafbarkeit. 681 
Tat ein gewisses Maß oder eine gewisse Richtung des Verschuldens voraussetzt, 
ist diese Bestimmung auch für die Deliktsnatur der Tat maßgebend; je nach 
den Normen des Schutzgesetzes wird also als Delikt bald nur eine vorsätzliche, 
bald auch eine fahrlässige Handlung gelten. 
6) Anders wenn das Schutzgesetz auch eine schuldlose Zuwiderhandlung 
verbietet: hier bleibt das Deliktsrecht bei seinem Erfordernis stehn, daß jedes 
Delikt schuldhaft begangen sein muß (823 II Satz 2); es läßt aber wie bei 
den gewöhnlichen Delikten nicht bloß Vorsatz, sondern jede Fahrlässigkeit ge- 
nügen und unterscheidet nicht, ob das Verschulden sich auf die Verletzung des 
Schutzgesetzes als solche oder auf den dadurch verursachten Schaden bezieht. 
Beispiele. I. 1. Die Beleidigung ist Schutzgesetzverletzung nur, wenn sie absichtlich, der 
Falscheid, auch wenn er fahrlässig begangen ist. 2. Der fahrlässige Falscheid ist Schutzgesetz- 
verletzung auch dann, wenn der Schwörende weder wußte noch hätte wissen müssen, daß er 
mit jenem Eide einen andern schädigte, sondern die Umstände, auf die sein Falscheid sich 
bezog, ohne Fahrlässigkeit für ganz gleichgültig ansah. II. Würde ein Ortsstatut im Interesse 
der Feuersicherheit ein gewisses Mindestmaß der Brandmauer vorschreiben und würde, weil 
die Brandmauer des Hauses k dieses Maß nicht erreicht, bei einem Brande von zx auch das 
Nachbarhaus y beschädigt werden, so wäre für die Beschädigung von ynicht jeder deliktmäßig 
haftbar, der jener Schutzvorrichtung zuwidergehandelt hat, sondern nur, wem dabei ein Ver- 
schulden zur Last fällt. Und zwar würde es als Schuld genügen, wenn der Zuwiderhandelnde 
entweder die von ihm verletzte Vorschrift oder wenn er die durch den Bau für y begründete 
Feuersgefahr hätte kennen müssen. 
c) Bei den unsittlichen Delikten genügt als Verschulden nur der schuld- 
hafte Vorsatz (826).27 Und zwar muß sich der Vorsatz auf die Schädigung 
des Verletzten beziehn; daß er auch auf die Unsittlichkeit der Schädigung ge- 
richtet ist, ist nicht erforderlich. 78 
Beispiele. I. A. verführt den Primaner B. zum Wirtshausbesuch; infolge davon fällt 
B. im Examen durch. Hier liegt ein unsittliches Delikt nicht vor, da A. diesen Schaden B.S 
nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. II. C. bestimmt den D., seine Bewerbung um ein mit 
großen Einnahmen verbundenes Amt zurückzuziehn, indem er ihm wider besseres Wissen 
seinen zukünftigen Vorgesetzten als einen unerträglichen Tyrannen schildert, und erreicht da- 
durch, daß dem D. das Amt, das ihm sonst sicher zugefallen, entgeht. Hier liegt ein 
vorsätzliches Delikt auch dann vor, wenn C. den D. nur deshalb belogen hat, weil er 
annahm, dieser passe für das Amt nicht, und des Glaubens war, der gute Zweck heilige das 
schlechte Mittel. 
II. 1. Die Delikte sind oftmals zugleich strafbare Handlungen. Doch 
kommt es auch nicht selten vor, daß eine Handlung ein Delikt und doch nicht 
strafbar oder daß sie strafbar und doch kein Delikt ist. 
Beispiel. A. dringt nachts bei B. ein, um eine in B.8s Besitz befindliche Uhr, von der 
er sich in schuldhaftem Irrtum einbildet, sie gehöre ihm, an sich zu nehmen; er führt dies 
Vorhaben auch tatsächlich aus, nimmt aber zugleich eine Uhrkette mit, von der er genau 
weiß, daß sie B.s Eigentum ist: außerdem versucht er, aus dem Schreibtisch B.s Geld zu 
entwenden, gibt es aber auf, weil er das Schloß nicht zu öffnen vermag. Hier ist die 
Wegnahme der Uhrkette Delikt (823 1) und strafbar (StrGB. 242 1); die Wegnahme der Uhr 
ist Delikt (823 1), aber nicht strafbar (StrGB. 59); der Versuch der Entwendung des Geldes 
ist strafbar, aber (weil B. dadurch keinen Schaden erlitt) kein Delikt. 
27) RG. 57 S. 241, 58 S. 214, 62 S. 139. 
28) RG. 72 S. 175; s. aber auch RG. 71 S. 112.
	        
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