Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

694 Buch II. Abschnitt 2. Einzelne Arten der Forderungen. 
Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder sonstige Rechte eines andern 
verletzt, gewöhnliches Delikt (823 1). Andernfalls ist sie, wenn sie den Tat- 
bestand des Betruges oder einer andern strafbaren Handlung enthält, eine 
Schutzgesetzverletzung oder, wenn sie im Widerspruch zu den guten Sitten einen 
andern vorsätzlich schädigt, ein unsittliches Delikt (823 II, 826). 14 
Beispiele. I. A. will seiner kranken Kuh eine Arznei in das Futter gießen und bittet 
den zufällig anwesenden B., ihm das Arzneifläschchen zu reichen; B. reicht ihm grobfahr- 
lässig ein Fläschchen mit Gift; die Folge ist, daß die Kuh eingeht. Hier ist B. wegen der 
durch die fahrlässige Täuschung verursachten Sachbeschädigung, obschon nicht strafbar, doch er- 
satzpflichtig (823 I). II. C. bestimmt den D., indem er eine gefälschte Bürgschaftserklärung 
seiner Frau vorlegt, ihm ein Darlehn zu geben; eine Schädigung des D. bezweckt er nicht, 
da er zwar weiß, daß seine Frau mit der Bürgschaftserklärung zunächst nicht einver- 
standen ist, aber bestimmt darauf rechnet, daß sie sie schließlich doch genehmigen wird; die 
Frau verweigert aber die Genehmigung. Hier ist C. dem D. wegen der Verletzung eines 
Schutzgesetzes (strafbare Urkundenfälschung, StrGB. 267) ersatzpflichtig. III. E. empfiehlt 
dem F. wider besseres Wissen eine diebische Haushälterin, nur um ihm Verdruß zu be- 
reiten. Hier ist E., obschon seine Handlung nicht strafbar, dem F. wegen unsittlichen Delikts 
ersatzpflichtig (826). IV. G. gibt dem H. grobfahrlässig die Abfahrtzeit eines Zuges falsch 
an; H. versäumt den Zug. Hier ist G. ersatzfrei. 
2. Demnach sind fahrlässige Täuschungen in sehr viel geringerem Umfange 
Delikte als fahrlässige Sachbeschädigungen. Insbesondre geht ihnen der 
Deliktscharakter ab, wenn die Fahrlässigkeit des Täters nicht einem konkreten 
Recht, sondern nur dem Vermögen des Getäuschten im ganzen gilt (s. oben 
S. 6766).1 
VIII. 1. a) Pflichtverletzungen von Beamtens können je nach 
Lage des Falls gewöhnliche Delikte, Schutzgesetzverletzungen oder unsittliche 
Delikte sein. Außerdem können sie auch Sonderdelikte darstellen; voraus- 
gesetzt ist dabei weiter nichts, als daß die verletzte Amtspflicht nicht allein 
gegenüber dem Amtsverleiher (Staat, Gemeinde usw.), sondern auch gegenüber 
dem Geschädigten bestand (839 1 Satz 1).17 
Beispiele. I. A. ist um eine ihm zustehende Hypothek gebracht, weil B. sie im Grund- 
buch hat rechtswidrig löschen lassen; dies ist dem B. dadurch gelungen, daß er eine auf den 
Namen A.s lautende Löschungsbewilligung gefälscht hat und die angebliche Unterschrift A.s 
durch den Notar C. als echt hat beglaubigen lassen. Hier liegt auf seiten des C., wenn 
ihm ein Verschulden zur Last fällt, ein Delikt gegenüber A. vor. Denn die Amtspflicht der 
Notare, bei Beglaubigung von Unterschriften vorsichtig zu sein, besteht gegenüber dem ge- 
samten Publikum. II. D. hat große Kosten gehabt, weil er einen gegen E. angestrengten 
Prozeß zwar in den beiden ersten Instanzen gewonnen, aber in der dritten verloren hat; das 
Reichsgericht führt in seinem Urteil aus, daß zwar die Billigkeit für den D. spreche und 
auch der klare Wortlaut des Gesetzes dem D. unzweifelhaft zur Seite stehe, daß aber eine 
genaue Prüfung der Vorgeschichte des Gesetzes eine freie Auslegung des Gesetzeswortlauts 
zum Nachteil des Klägers nötig mache. Hier kann es sein, daß die Schädigung des D. 
durch die Prozeßkosten auf einer schuldhaften Pflichtverletzung der Gesetzesredaktoren beruht: 
denn deren Amtspflicht war es, sich so klar auszudrücken, daß ihre Formeln nicht bloß vom 
Reichsgericht in all seiner Gelehrsamkeit, sondern auch von dem rechtsuchenden Publikum mit 
14) R . 59 S. 156. 15) R. 62 S. 317. 
16) Delius, Haftpflicht der Beamten (01); Meltz, Beamtenhaftpflicht (04). 
17) RG. 58 S. 298.
	        
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