Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 166. Handlungen Unzurechnungsfähiger. Haftung für Tiere. 699 
II. Zweitens gehört hierher der Fall, daß jemand ein Tier hält und 
durch dies Tier ein Mensch getötet oder dessen Körper verletzt oder eine Sache 
beschädigt wird, es sei denn, daß das Tier ein Haustier ist und dem Beruf, 
der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters dient (833; s. oben 
S. 697).3 
1. a) Vorausgesetzt ist erstlich, daß jemand ein Tier „hält“, d. h. es in 
seinem unmittelbaren Besitz hat, gleichgültig, ob in eignem oder" in fremdem 
Interesse, gleichgültig, ob für längere Zeit oder nur vorübergehend,? gleich- 
gültig, ob in Eigen= oder 6 in Fremdbesitz. 
" Beispiel. Wenn A. dem B. ein Pferd stiehlt und es an den redlichen C. veräußert, 
C. es für einen Spazierritt dem D. vermietet, D., weil er unterwegs plötzlich erkrankt, es 
dem Gastwirt F. zur Verwahrung übergibt und F. schließlich es seinem Kutscher G. zur 
Einstellung in den Gasthausstall ausliefert, so ist, wenn das Tier auf dem Wege zum Stall 
einen Schaden anrichtet, in diesem kritischen Augenblick lediglich F. als „Halter“ des Pferdes 
anzusehn. 
Selbstverständlich ist der Begriff des Tierhalters bestritten.? Wie sollte es auch 
anders sein, da das Gesetzbuch ihn in seinen Regeln verwendet, ohne auch nur zu versuchen, 
ihn näher zu bestimmen? Für meine Definition spricht, daß es allein sachgemäß ist, für 
ein Tier dessen derzeitigen unmittelbaren Besitzer verantwortlich zu machen. 
b) Vorausgesetzt ist zweitens, daß das Tier einen Schaden anrichtet. Gleich- 
gültig ist, ob es dabei aus eignem Antriebe oder auf Antrieb eines Menschen 
tätig wird. s Wirken neben der Tätigkeit des Tiers noch andre Ursachen zur 
Herbeiführung des Schadens mit, so kommen die allgemeinen für den Schadens- 
ersatz geltenden Regeln zur Anwendung (s. oben S. 383).# 
Beispiel. Rentner A. läßt seine Kutschpferde durch seinen Kutscher B. ausfahren ;B., 
ein sonst zuverlässiger Mensch, lenkt die Pferde in einem unbegreiflichen Anfall von Ubermut 
derart, daß sie mit den Hufen ein auf der Straße spielendes Kind verletzen, der Wagen aber 
mit einem Hinterrade gegen einen Baum stößt und ihn beschädigt. Hier ist die Verletzung 
des Kindes auf die Pferde zurückzuführen, 1o die Beschädigung des Baumes nicht. 
Jc) Vorausgesetzt ist drittens, daß der Schaden, den das Tier angerichtet 
hat, in der Tötung oder körperlichen Verletzung eines Menschen oder der 
Beschädigung einer Sache besteht; doch wird der Sachbeschädigung die Sach- 
entziehung gleichzustellen sein. 11 
Beispiel. A. ist auf Grund der hier behandelten Regel haftbar, wenn seine Elster dem 
Nachbar B. Sachen stiehlt, nicht aber auch, wenn sein Hund durch sein nächtliches Gebell 
die Mieter des Nachbarhauses zur Kündigung veranlaßt. 
d) Vorausgesetzt ist viertens, daß das Tier, das den Schaden anrichtet, 
nicht etwa ein Haustier ist, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem 
3) Isay, Jahrb. f. Dogm. 39 S. 209: Stierle, Haftung für Tiere (04): Schwarz, 
Haftung des Tierhalters (05); Litten, Ersatzpflicht des Tierhalters (05); Hagelberg, Begriff 
des Tierhalters (05): Schmoller, Arch. f. ziv. Pr. 98 S. 1. 
4) Abw. RG. 66 S. 1; Goldmann 1 S. 913. 
5) Abw. Goldmann 1 S. 913; R. 52 S. 118. 6) Abw. Isay S. 315. 
7) Litten S. 110. 8) Abw. RG. 50 S. 180, 54 S. 74, 65 S. 107. 
9) RG. 60 S. 66, 61 S. 316. Vgl. RG. 69 S. 400, 54 S. 74. 
10) Abw. Litten S. 87. 11) Litten S. 22.
	        
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