72 Buch I. Abschnitt 3. Die Rechtsinhaber.
II. 1. Wer fähig ist, Inhaber eines Rechts zu sein, heißt rechtsfähig
oder Person.
2. a) Als Person gilt zunächst ohne Ausnahme jeder Mensch von der
Geburt bis zum Tode. Deshalb wird in den gleich folgenden Paragraphen von
den Menschen als Rechtsinhabern ausführlich die Rede sein.
b) Außer den Menschen als den „natürlichen“ Personen gibt es aber auch
„juristische“ Personen, nämlich die rechtsfähigen Privatvereine, die rechtsfähigen
Privatstiftungen, endlich gewisse Anstalten des öffentlichen Rechts, vor allem
der Staat („Fiskus") und die Gemeinden. Von ihnen ist aber erst an einer
späteren Stelle dieses Werks zu handeln.
In den frühern Auflagen dieses Buchs hatte ich die Lehre von den juristischen Per-
sonen, wie es auch sonst allgemein üblich, unmittelbar an die Lehre von den natürlichen
Personen angeschlossen. Ich habe dies jetzt aufgegeben, vor allem deswegen, weil die Lehre
von den juristischen Personen die Kenntnis von mannigfachen andern Rechtsinstituten, z. B.
von der Stellvertretung, notwendig voraussetzt und deshalb mit Erfolg erst hinter diesen
Rechtsinstituten dargestellt werden kann.
c) Andre Personen als die Menschen und die juristischen Personen gibt
es nicht; insbesondre ist die noch ungeborene menschliche Frucht noch keine
Person und kann deshalb noch nicht Inhaber irgendwelcher Rechte sein.“
3. Die Rechtsfähigkeit einer Person wird dadurch nicht beeinträchtigt,
daß sie die später näher zu erörternde Geschäftsfähigkeit — die Fähigkeit,
Rechtsgeschäfte in eigner Person und in eignem Namen abzuschließen 5 — nur
beschränkt besitzt oder ganz entbehrt. Freilich wird sie alsdann der Regel
nach an der persönlichen Ausübung ihrer Rechte behindert sein. Das macht
aber für ihre Rechtsfähigkeit nichts aus: rechtsfähig sein heißt nicht, ein Recht
in Person „ausüben", sondern ein Recht „haben“ können.
4. Daß eine Person rechtsfähig ist, bedeutet nur, daß sie überhaupt Rechte
haben kann, nicht aber, daß sie jedes Recht haben kann. Es kann also vor-
kommen, daß gewisse Rechte ausschließlich bestimmten Personenklassen oder
gar bestimmten einzelnen Personen reserviert werden. Hierher gehören vor allem
die Regalien, d. h. Privatrechte, die — wenigstens der Regel nach — einzig
und allein dem Staat zustehn.
5. Wer Rechte haben kann, kann auch Pflichten haben: eine Person
als solche ist nicht bloß rechts-, sondern auch verpflichtungsfähig.
Beispiele. I. 1. Der Millionär A. stirbt ohne Testament; sein nächster Angehöriger
ist sein einziges Kind B., ein Kretin, der nie in seinem Leben sprechen und nicht einmal
gehen und menschlich essen lernen wird. Hier geht die Million A. auf B. über, da an
dessen Rechtsfähigkeit nicht zu zweifeln ist. Ein Vormund hat sogar ängstlich dafür zu sorgen,
daß die Million samt den ersparten Zinsen dem Kretin zeitlebens verbleibt. 2. Eben dieser
Kretin ist auch verpflichtungsfäahig; wenn z. B. der Vormund in seinem Namen einen Roll-
stuhl für ihn anschafft, ist Schuldner des Kaufpreises nicht der Vormund, sondern B. selbst.
II. Ein Beispiel eines Regals ist das Recht des Staats, sich gewisse in seinem Gebiet liegende
herrenlose Grundstücke anzueignen (928 1).
3) Siehe unten Buch V. 4) über sie siehe oben hinter Anm. 2, sowie unten § 344 7.
5) Siehe unten § b55ff.