84 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung.
wohl erkennen können, daß der Dieb weder das Armband noch den Schein ehrlich erworben hat;
er hat aber den Fall nur leichtfertig geprüft und deshalb diese Erkenntnis tatsächlich nicht
erlangt; doch findet das Gericht, als ihm die Frage im Prozeß zur Entscheidung vorgelegt
wird, daß seine Leichtfertigkeit keine grobe gewesen ist. Hier ist dem A. ein Herausgabe-
anspruch gegen B. in Ansehung des Armbandes zuzugestehn, in Ansehung des Tausend-
markscheins zu versagen (s. einerseits oben 81c, andrerseits oben zu 80 a).
Auch bei der Regel zu c hat der Gesetzgeber sich mit vielem Erfolge des Orakeltons
bedient, indem er sich nicht darüber ausgelassen hat, was im Rahmen der Regel unter dem
guten oder schlechten Glauben des Anspruchsgegners zu verstehn sei. Auf diese Weise hat
die von ihm aufgestellte Vorschrift etwa denselben Wert, wie wenn er die gesetzliche Erbfolge-
ordnung mit dem Spruch: „Erbe ist der nächste Angehörige des Erblassers“ geregelt hätte,
ohne dabei zu sagen, wer als Angehöriger und wer unter den Angehörigen als der nächste
gelten solle. Man prüfe solgende Beispiele: I. Ein Hundertmarkschein ist zufällig zweimal
hintereinander verloren gegangen, gefunden und vom Finder in Besitz genommen: der erste
Verlierer ist nicht ermittelt; der erste Finder und zugleich der zweite Verlierer ist A.; der
zweite Finder ist B.; beide Finder waren ehrlich und haben deshalb ihren Fund der Polizei
angezeigt. Hier scheint zunächst nur folgende Alrernative möglich: entweder erklärt man
den ehrlichen Finder einer verlorenen Sache für gutgläubig; dann hat A. keinen Heraus-
gabeanspruch wegen des guten Glaubens des B. (Regel 2c); oder man erklärt ihn für
schlechtgläubig; dann hat A. keinen Herausgabeanspruch wegen seines eignen schlechten
Glaubens (Regel 1f). Indes ist doch wohl anders zu entscheiden. Man kann nämlich
sagen, daß sogar der ehrlichste Finder — sofern er nur weiß oder bei Aufwendung geringer
Aufmerksamkeit wissen mußte, daß die Fundsache keine herrenlose ist — zwar nicht ganz
schlecht-, aber doch auch nicht ganz gutgläubig ist; denn er muß sich von vornherein darüber
im klaren sein, daß sein Recht auf den Besitz der Fundsache erlischt, sobald ein Empfangs-
berechtigter innerhalb der gesetzlichen Frist unter Erstattung von Finderlohn und Auslagen
die Herausgabe der Sache beansprucht; sein guter Glaube gilt also von Anfang an nur
unter Vorbehalt dieses Falls. Daraus ist aber zu folgern, daß der Finder, wenn dieser
Fall wirklich eintritt, dem Empfangsberechtigten die Herausgabe der Sache nicht unter Be-
rufung auf seinen guten Glauben verweigern darf, weil selbiger guter Glaube, d. h. der
Glaube an sein Besitzrecht, sich ja gerade auf diesen einen vorbehaltenen Fall nicht bezieht.
Ergebnis: der zweite Finder B. muß gemäß 1007 1 die Fundsache gegen Erstattung von
Finderlohn und Auslagen an den ersten Finder A. herausgeben. II. C. hat einen Hundert-
markschein, den er dem D. gestohlen, dem E. zur Aufbewahrung gegeben und ihm dabei
glaubhaft mitgeteilt, er habe den Schein ehrlich verdient; gleich nachdem E. den Schein in
seiner Kommode eingeschlossen hat, verrät aber C. sein Geheimnis, so daß E. nunmehr weiß,
daß er gestohlenes Gut verwahrt; seitdem ist C. aus Angst vor dem Staatsanwalt spurlos
verschwunden, während der Schein nach wie vor in E.s Kommode lagert. Hier scheint es
klar, daß E., als er den Besitz des Scheins erwarb, gutgläubig gewesen ist; es wäre also,
da es auf seinen nachträglich entstandenen schlechten Glauben zweisellos nicht ankommt, dem
D. ein unmittelbar gegen E. wirksamer Herausgabeanspruch zu versagen; demnach müßte
D., um auf Grund seines älteren Besitzes den Schein wieder zurückzubekommen, sich zunächst
an den (spurlos verschwundenen!) C. halten. Doch ist dies Ergebnis ein so peinliches, daß
man nach Mitteln suchen muß, es abzuwenden. Vielleicht ist hierzu eine ähnliche Argu-
mentation tauglich wie die zu 1 gegebene. Wer eine Sache bloß zur Verwahrung erbält,
muß sich nämlich von vornherein darüber im klaren sein, daß sein Recht auf den Besitz der
Sache erlischt, sobald ein Empfangsberechtigter unter Erstattung von Verwahrerlohn und
Auslagen die Herausgabe der Sache beansprucht. Ist das aber richtig, so darf er, wenn
dieser Fall eintritt, die Herausgabe der Sache an den Empfangsberechtigten nicht unter
Berufung auf seinen guten Glauben verweigern, weil selbiger gurer Glaube, d. h. der Glaube
an sein Besitzrecht, sich ja gerade auf diesen Fall nicht bezieht. Ergebnis: der Verwahrer
E. muß die Sache gemäß 1007 1 dem früheren Besitzer D. gegen Erstattung von Lohn und
Auslagen herausgeben. III. F. wechselt einen Hundertmarkschein, den sein Vater G. dem H.
gestohlen und den er seinerseits wieder dem G. entwendet hat, bei J. gegen Gold ein: J.