§ 190. Besitzanspruch aus 8 1007 bei Schlechtgläubigkeit des Gegners. 85
erkennt sofort, woher F. den Schein hat; dagegen nimmt er ohne Fahrlässigkeit an, daß F.#s Vater
den Schein ehrlich erworben hat. Hier ist J. zweifellos schlechtgläubig gegenüber dem Vater G.,
gutgläubig gegenüber dem erstbestohlenen S. Man könnte deshalb meinen, daß dem H. der Her-
ansgabeanspruch gegen J. zu versagen sei. Doch ist wohl die gegenteilige Entscheidung vorzuziehn:
Gegenstand des schlechten Glaubens auf seiten des Anspruchsgegners ist nur sein eignes Nicht-
rht, nicht aber zugleich das bessere Recht des den Anspruch verfolgenden älteren Besitzers.
Ergebnis: J. muß den Schein gemäß 1007 1 dem H. herausgeben. IV. K. hat einen Hundert-
markschein dem L., der ihn für seinen Eigentümer M. verwahrte, gewaltsam fortgenommen,
in dem entschuldbaren Irrtum, der Schein gehöre ihm selber. Hier ist K. insofern gut-
gläubig, als er sich ohne Fahrlässigkeit ein Recht auf den Besitz des Scheins zuschrieb; er
#K aber insofern schlechtgläubig, als er sich nur infolge grober Fahrlässigkeit für berechtigt
halten konnte, den Schein in der von ihm beliebten gewaltsamen Art dem L. fortzunehmen.
Wie es scheint, ist der erstere gute Glaube für unfre Regel (anders als z. B. für die Regel
von 932) ohne Belang. Ergebnis: K. muß gemäß 1007 1 dem L. den Schein herausgeben.
4) Dadurch, daß die Sache schon früher einmal im Besitz des Anspruchs-
gegners gewesen und ihm aus diesem Besitz abhanden gekommen ist, wird
der Anspruch nicht ausgeschlossen. Dasselbe gilt für den Fall, daß die Sache
im Eigentum des Anspruchsgegners steht.
Beispiel. A. hat bei B. eine Menge Sachen gestohlen und in einem Wagen nach Hause
geschafft; beim Sortieren entdeckt er, daß sich unter ihnen ein Gegenstand befindet, der ihm
selber gehört. Hier erstreckt sich der Herausgabeanspruch des B. wegen der Schlechtgläubig-=
keit des A. auch auf diesen Gegenstand. Doch will das nicht viel besagen. Denn es ist
dem A. unbenommen, falls B. von ihm die Herausgabe des Gegenstandes fordert, sich auf
sein Eigentum mittels Einrede zu berufen (s. unten zu III).8 Ergebnis: der Herausgabe-
anspruch aus 1007 wird durch das Eigentum des Gegners, wenn dieser gutgläubig war,
ganz ausgeschlossen, während er bei Schlechtgläubigkeit des Gegners fortbesteht, aber durch
eine Einrede entkräftet wird! Ich vermute, daß der Gesetzgeber diese Unterscheidung
ohne Schaden hätte unterlassen können.“
II. Das Ziel des Anspruchs ist dasselbe wie bei dem Herausgabeanspruch
bes Eigentümers (1007 III Satz 2; s. unten § 211): Herausgabe der Streitsache
selbst, unter Umständen auch Herausgabe der Früchte, Schadensersatz u. dgl.
III. Unbenommen ist es dem Anspruchsgegner, den Anspruch mit der
Einrede abzuwehren, daß ihm ein gegen den Anspruchsberechtigten wirk-
sames dingliches oder obligatorisches Recht auf den Besitz der Sache zustehe.
Damit wird ihm zugleich die Möglichkeit gegeben, einen Prozeß um den
Herausgabeanspruch ganz anders in die Länge zu ziehn, als ihm dies bei
dem kurzfristigen Anspruch wegen Besitzentziehung möglich sein würde.
Ein Beispiel siehe oben zu 2d.
899) Der langfristige Abholungsanspruch.
§L 191.
Der langfristige Abholungsanspruch wird dem jetzigen oder vor-
maligen Besitzer gegen den Nichtbesitzer zugestanden, schützt also bald gegen-
wärtigen, bald vergangenen Besitz.
8) Abw. Gierke, Fahrnisbesitz S. 56. 4) Siehe Wolff S. 53 18.