§ 193a. Begriff des mittelbaren Besitzes erster Stufe. 91
Gefahr. Sonach kommt dem O. zurzeit zwar eine Forderung auf Lieferung des Klaviers,
nicht aber eine „Oberherrschaft“ über das Klavier zu. 4. P. hat dem Q. einen Koffer ge-
stohlen. Hier ist P. unmittelbarer, nicht aber auch Q. mittelbarer Besitzer des Koffers.
Allerdings ist P. gegenüber Q. zum Besitz des Koffers auf Zeit verpflichtet, da er ja die
Pflicht hat, ihm den Koffer zurückzugeben, und diese Pflicht ist ähnlich der eines Ver-
wahrers, läßt also den Q. zweifellos als Oberherrn des Koffers erscheinen. Doch erkennt
P. die Oberherrschaft des Q. tatsächlich nicht an.
Die zu a bestimmten Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes sind zum großen Teil
zweifelhaft. Insbesondre ist es keineswegs sicher, was unter einem „ähnlichen Verhältnis“
im Sinn der Regel zu F zu verstehn ist; beispielsweise kann man sehr darüber streiten,
ob der Verkäufer, der die Kaussache dem Käufer unter Vorbehalt des Eigentums bis zur
Tilgung des Kaufpreises übergibt, dadurch, wie das Reichsgericht annimmt, mittelbarer Be-
sitzer der Kaufsache wird. : Außerdem ist es streitig, erstens ob bei der Regel zu § nicht
eine Berechtigung oder Verpflichtung des unmittelbaren Besitzers zum Besitz genügt, die
in Wirklichkeit gar nicht besteht, aber von den Beteiligten irrtümlich als vorhanden ange-
nommen wird ?, zweitens, ob es richtig ist, daß der unmittelbare Besitzer die Oberherrschaft
des mittelbaren Besitzers tatsächlich anerkennen muß. 2 Bei der unbestimmten Fassung des
Gesetzes ist die Entscheidung aller dieser Fragen höchst problematisch.
b) Aus den Regeln zu a folgt, daß der mittelbare Besitz erster Stufe
dem unmittelbaren Besitz wesensverwandt ists: so gut wie der unmittelbare
Besitzer einer Sache — von vorübergehenden Unterbrechungen abgesehn —
stets in der Lage sein muß, die tatsächliche Herrschaft über die Sache auszu-
üben, so gut muß der mittelbare Besitzer kraft seiner von dem unmittelbaren
Besitzer anerkannten Oberherrschaft — von vorübergehenden Unterbrechungen
abgesehn — stets in der Lage sein, durch Vermittlung des unmittelbaren Be-
sitzers als des sogenannten Besitzmittlers tatsächlich einen Einfluß auf die
Sache geltend zu machen; soweit der unmittelbare Besitzer als der „tatsächliche
Herr“ der Sache erscheint, soweit erscheint demnach der mittelbare Besitzer erster
Stufe als ihr „tatsächlicher Oberherr“". Nur ein wesentlicher Unterschied besteht:
während der unmittelbare Besitz einer Sache völlig unrechtmäßig begründet
werden kann, muß der mittelbare Besitzer wenigstens im Verhältnis zu dem
Besitzmittler ein Recht auf die Sache haben.
Beispiel. Wenn A. dem B. eine Sache stiehlt und dem C. zur Aufbewahrung gibt,
so ist er so lange mittelbarer Besitzer der Sache, als C. den unmittelbaren Besitz behält und
seine Verwahrerpflicht gegenüber A. tatsächlich anerkennt. Sein mittelbarer Besitz fußt also
nicht bloß rechtlich, sondern auch tatsächlich auf dem unmittelbaren Besitz des C.
Die Annahme einer solchen „Tatsächlichkeit“ des mittelbaren Besitzes steht und fällt
natürlich mit der Annahme, daß der mittelbare Besig ein tatsächliches Anerkenntnis der
Okerherrschaft des mitlelbaren von seiten des unmittelbaren Besitzers voraussetzt. Jene An-
nahme ist also ebenso streitig wie diese.
1) R. 54 S. 396, 69 S. 198; abw. Thiesing, Arch. f. BR. 20 S. 240.
2Hi erfür die 4. Aufl. d. Buchs 2 S. 64, Biermann, Anm. 24 zu § 868, Gierke,
D. PrR. 2 S. 220. Dagegen Windscheid-Kipp 1 S. 698, 711 zu 2, Bruns, Besitzerwerb
#0) S. 157.
L#) Hierfür Gierke, D. PrK. 2 S. 219; Landsberg S. 631. Abw. Bruns, Besitz-
erwerb (10) S. 158.
8) Dafür Gierke, Fahrnisbesitz S. 7; Weidemann, mittelbarer Besitz (02) S. 24. Abw.
Wendt, Arch. f. ziv. Pr. 87 S. 47; Bartels bei Gruchot 42 S. 625.