154 Buch III. Abschnitt 3. Das Eigentum.
man sie ausnahmslos dem Grundsatz zu 1 unterwerfen, so würde man sie
geradezu unmöglich machen; jeder in der Nähe angesessene Eigentümer könnte
ja verlangen, daß die Tätigkeit, weil ihre Wirkung nicht vor seiner Grenze
Halt mache, gänzlich unterlassen werde. Das geht natürlich nicht an. Viel-
mehr haben derartige notwendig in die Ferne wirkende Tätigkeiten — ohne
Rücksicht darauf, ob sie notwendig oder nützlich sind — ein Recht auf Duldung,
vorausgesetzt, daß sie entweder da, wo sie vorgenommen werden, nach den
dortigen örtlichen Verhältnissen „gewöhnlich“" sind oder aber da, wo sie ihre
Fernwirkung entfalten, keinen oder nur unwesentlichen Schaden bringen (906
Satz 1).2
Beispiele. I. Mein Nachbar spielt unaufhörlich die neusten Operettenweisen und macht
an derselben Stelle jedesmal denselben Fehler. Ich muß dies ertragen, denn das ist in der
ganzen Welt gewöhnlich. II. Die Hausbewohner in dem vornehmsten Villenquartier der
Stadt müssen sich die Gerüche gefallen lassen, die der herrschende Wind von den Ziegeleien
und Gerbereien der Umgegend zu ihnen trägt. Denn in der „Umgegend“ ist die Erzeugung
ähnlicher Gerüche durchaus gewöhnlich; daß das Villenquartier sie ungewöhnlich findet, ist
gleichgültig. III. In dem ebengenannten Villenquartier düngt ein dort angesessener Sonder-
ling seit zwanzig Jahren seinen Garten mit der Ausbeute seiner Senkgrube; ein Nachbar,
der sich in der Gegend neu angekauft hat, erhebt Einspruch. Mit Recht: denn nicht die
rücksichtslose Gepflogenheit des einzelnen, sondern der allgemeine Ortsgebrauch des Quartiers
ist für unfre Frage maßgebend; und dieser kennt nur eine geruchlose Düngung. IV. Ein
Grundstückseigentumer leidet unter dem qualmenden Schornstein eines Nachbarn; er stellt
fest, daß der Schornstein nur deshalb so qualmt, weil er schlecht angelegt ist und außerdem
eine unpassende Kohle zur Feuerung verwendet wird. Dennoch kann er Abstellung des Übels
nicht sordern, wenn in der Gegend die Schornsteine gewöhnlich schlecht konstruiert und die
unpassende Kohle gewöhnlich verwendet wird. V. Eine Eisenbahn verlegt ihre Rangiergeleise
aus der Stadt in die mit Handelsgärten besetzte Vorstadt; der Lärm, den sie mit sich bringt,
ist in dieser Gegend ungewöhnlich. Dennoch kann niemand ihn verbieten; denn Handelsgärten
leiden unter dem Geräusch der Rangierzüge nur unwesentlich. VI Ein Gutsbesitzer, der
nahe an der Grenze eine Badeanstalt für sich und seine Angehörigen angelegt hat, beschwert sich
darüber, daß jedesmal, wenn seine Töchter baden, die Söhne des Nachbars sich an der Grenze
als Zuschauer aufstellen; umgekehrt beschwert sich aber auch der Nachbar, weil er sich durch
den Ausblick auf die badenden Damen geniert fühlt. Hier ist nur die letztere Beschwerde
gerechtfertigt, weil nach Naturgesetzen zwar die Töchter des Gutsbesitzers durch ihre Sichtbar-
keit auf das Nachbargrundstück, nicht aber die Söhne des Nachbars durch ihr Sehn auf die
Badeanstalt „einwirken“.
Unbedingt kann eine „Zuführung“ auf fremde Grundstücke verboten werden, wenn sie
„durch eine besondre Leitung“ ersolgt (906 Satz 2). Gemeint ist wohl eine Leitung, die die
Abwässer, Gase u. dgl. künstlich nach einer bestimmten Richtung abführt.
2. à) Ferner müssen Einwirkungen auf fremde Grundstücke geduldet werden,
die rein negativer Art sind, indem sie den leidenden Grundstücken nichts geben
und nichts nehmen, sondern lediglich etwas, worauf der Eigentümer kein Recht
hat, von ihnen abhalten. Sie sind oftmals höchst ungewöhnlich und für den
betroffenen Eigentümer äußerst nachteilig: dennoch können sie, außer im Fall.
der Schikane („Neidbau“"), nicht verboten werden.
Beispiel. A. hat ein Landhaus lediglich deehalb erworben, weil es eine herrliche
Aussicht bietet; da baut sein Nachbar B. auch für sich ein Landhaus, das durch seinen.
2) RG. 57 S. 224, 239; 63 S. 378; 66 S. 126; 70 S. 311.