Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

8 210. Nachbarrecht. Anlagen nahe der Grenze. 155 
protzenhaften Stil die Gegend verdirbt, durch seinen weißen Anstrich blendet und durch 
seinen hohen Giebel die Aussicht A.3 vollständig verdeckt. Hier kann A. fordern, daß B. 
einen etwas dunkleren Anstrich für sein Haus wählt (906); im übrigen muß er sich in sein 
Schicksal ergeben. 
b) Doch gilt nach Reichsrecht folgende Ausnahme: die Befestigung, die 
sich benachbarte Grundstücke gegenseitig geben, darf keinem von ihnen genommen 
werden; niemand darf also ein Grundstück willkürlich so vertiefen, daß der 
Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, 
daß er auf seine Kosten für eine genügende anderweitige Befestigung, etwa 
durch eine Futtermauer, Sorge trägt (909).2 
c) Weitere Ausnahmen können landesrechtlich bestimmt werden (EG. 124). 
Besonders bemerkenswert ist in dieser Richtung die Vorschrift des preußischen 
Landrechts, daß einem Hause, aus dessen Fenstern man seit mindestens zehn 
Jahren den Himmel sehn konnte, diese Aussicht nicht durch nachbarliche An- 
lagen entzogen werden darf (pr. LR. I, 8 § 142). 
3. Geduldet werden müssen endlich Einwirkungen, die von einer gewerb- 
lichen Anlage ausgehn, vorausgesetzt, daß die Anlage nach der Gewerbe- 
ordnung einer Genehmigung der Behörde bedarf und diese Genehmigung auch 
tatsächlich erhalten hat, sowie daß jene Einwirkungen bei ordnungsmäßigem 
Betriebe der Anlage nicht vermieden werden können (RGewordn. 26)." 
Beispiel. Grundstückseigentümer, die unter den übelriechenden und dem Pflanzenwuchs 
schädlichen Abwässern einer benachbarten amtlich genehmigten chemischen Fabrik bitter leiden, 
dürfen eine bessere Regulierung der Abwässer sordern, wenn sie tunlich ist. Ist sie aber nicht 
tunlich, so bleiben die Abwässer, wie sie sind; die Nachbarn können alsdann Schadensersatz, 
nicht aber Einstellung des lästigen Fabrikbetriebes verlangen. Ihr Schadensersatzanspruch 
aber ist ein unbedingter und namentlich nicht davon abhängig, daß dem Fabrikanten ein 
Berschulden zur Last fällt. 
Den nach der Gewerbeordnung genehmigten Unternehmungen können landesrechtlich 
Eisenbahnen und verwandte Betriebe gleichgestellt werden (EmG. 125). Von dieser Ermäch- 
tigung haben Gebrauch gemacht z. B. die AusfGes. von Bayern 80, Württemberg 218. 
III. 1. Errichtet oder hält jemand eine Anlage nahe der Grenze, von 
der mit Sicherheit vorauszusehn ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine un- 
zulässige Einwirkung auf fremde Grundstücke in Zukunft zur Folge haben wird, so 
können die Eigentümer der bedrohten Grundstücke schon im voraus einschreiten; 
sie brauchen also nicht abzuwarten, bis sie tatsächlich geschädigt oder belästigt 
werden, sondern dürfen die Errichtung der Anlage sofort untersagen, die Be- 
seitigung der bereits errichteten Anlage sofort verlangen (907 1 Satz 1)." 
Beispiele. Jemand baut eine Mauer, die so schlecht sundamentiert ist, daß sie sich not- 
wendig über das Nachbargrundstück neigen wird; jemand legt einen Wassergraben an, der 
im Lauf der Zeit üble Gerüche entsenden muß. 
2. Die Regel zu 1 wird wesentlich verschärft, wenn die Anlage ein Ge- 
bäude oder ein andres mit einem Grundstück verbundenes „Werk“ ist und 
3) RG. 62 S. 370. 
4) Linkelmann, Arch, f. BR. 24 S. 238. Siehe auch RG. 73 S. 271. 
5) R. 47 S. 99, 70 S. 151. 6) R. 60 S. 138.
	        
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