156 Buch III. Abschnitt 3. Das Eigentum.
die Gefahr besteht, daß das Werk einstürzen oder ein Teil sich von ihm ab-
lösen wird. Alsdann können nämlich die Eigentümer der hierdurch bedrohten
Nachbargrundstücke verlangen, daß die zur Abwendung der Gefahr erforder-
lichen Vorkehrungen auf das schleunigste getroffen werden, auch wenn der
Einsturz des Werks oder die Ablösung der Werkteile nicht, wie dies die Regel
zu 1 verlangt, „mit Sicherheit“ vorauszusehn ist (908). In der Tat dürfte
die Unsicherheit, die ein baufälliges Gebäude für die Nachbarn mit sich bringt,
fast noch schlimmer sein als die Sicherheit seines Einsturzes. Gleichgültig ist, ob
jemand an dem gefährlichen Zustande des Werkes schuld ist: selbst eine durch
ein Erdbeben rissig gewordene Mauer darf nicht in einem die Nachbarn ge-
fährdenden Zustande belassen werden.
Zur Abwendung der Gefahr verpflichtet ist nicht der Eigentümer, sondern der Besitzer
des gefährlichen Werks sowie neben ihm derjenige, der die Unterhaltung des Werks für
den Besitzer übernommen oder das Werk vermöge eines ihm zustehenden Nutzungsrechts zu
unterhalten hat (s. 836 1, 837, 908). Ist z. B. ein baufälliges Gasthaus verpachtet und
läßt der Pächter, während er verreist ist, das Gasthaus durch seinen Oberkellner verwalten,
so ist dem Nachbarn der Pächter und der Oberkellner, nicht aber der Verpächter haftbar.
Umgekehrt ist die Regel zu 1 gemildert, wenn die Anlage ein Baum oder Strauch ist?;
hier können die Nachbarn nur einschreiten, wenn die „unzulässige Einwirkung“ des Baums
oder Strauchs eine vollendete Tatsache ist (907 II). Beispiel: ein altersschwacher Baum
jenseits meiner Grenze wird dem nächsten Sturm zum Opfer fallen, und kommt der Sturm
von Westen, so fällt der Baum über die Grenze auf mein Treibhaus; hier habe ich den
Sturm ruhig abzuwarten.
3. Die Regel zu 1 kann landesrechtlich abgeändert werden. Das Landes-
recht kann nämlich ein für allemal bestimmen, daß gewisse Anlagen, die er-
fahrungsmäßig für die Nachbarn lästig sind, nur unter Einhaltung gewisser
Vorsichtsmaßregeln und nur in gewissem Abstande von der Grenze oder von
den Baulichkeiten des Nachbarn errichtet oder gehalten werden dürfen (EG. 124).
Doch kann, wenn eine solche Bestimmung getroffen ist, eine Anlage, die ihr
entspricht, von den Nachbarn immer noch verboten werden; es ist dies aber
erst zulässig, wenn eine unzulässige Einwirkung der Anlage auf die Nachbar-
grundstücke tatsächlich hervortritt (907 1 Satz 2).
Beispiele aus den von dem pr. Auss Ges. aufrecht erhaltenen Regeln des preuß. Land-
rechts (pr. LR. I, 8 §§ 148, 138, 125—127, 131, 128, 133, 140, 139, 174, 185). I. Türen
oder Fenster dürfen in Wänden, die unmittelbar an der Grenze stehn, nicht angebracht
werden; dagegen sind vergitterte Offnungen 6 Fuß (1 Fuß —= 0,314 Meter) über dem Fuß-
boden des Stockwerks gestattet. II. Schweineställe, Senkgruben und dgl. müssen von den
benachbarten Gebäuden, Mauern und Bäumen 3 Fuß Abstand haben; Senkgruben u. dgl.
müssen von Grund aus ausgemauert sein. III. Bei neuen Brunnenanlagen ist der
Mindestabstand 3 Fuß von der Grenze, bei Wassergräben 1 Fuß von der Wand des Nach-
bars. IV. Backöfen und Herde dürsen nicht unmittelbar an der gemeinschaftlichen Grenz-
mauer angebracht werden. V. Neuerrichtete Gebäude müssen vorbehaltlich abweichender
Polizeiverordnungen 1½ Fuß von der Grenze und, wenn jenseits der Grenze bereits Ge-
bäude stehn, 3 Fuß von dieser abstehn. VI. Bei neuangelegten Hecken ist der Mindest-
abstand 1½ Fuß von der Grenze, bei Bodenerhöhungen 3 Fuß von dem Zaun oder der
Mauer des Nachbars.
7) Siehe RG. 52 S. 373.