§ 210. Nachbarrecht. überbau, Notweg. 157
IV. 1. Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines
Gebäudes schuldlos oder doch nur aus geringer Fahrlässigkeit über die Grenze
gebaut, so kann der Eigentümer des Nachbargrundstücks die Entfernung des
Überbaus nur dann fordern, wenn er vor oder sofort nach der Grenz-
überschreitung Widerspruch erhoben hat (912 1).3
2. Muß der Eigentümer des Nachbargrundstücks den ÜUberbau gemäß der
Regel zu 1 dulden oder duldet er ihn freiwillig, so kann er nach Maßgabe
des Werts des überbauten Grundstücks zur Zeit der Grenzüberschreitung Ent-
schädigung fordern (912 Ul).
a) Die Entschädigung ist nach Wahl des Berechtigten durch eine jährlich
im voraus zahlbare Geldrente oder durch eine Kapitalzahlung zu leisten; doch
muß der Berechtigte, wenn er die Kapitalzahlung fordert, Zug um Zug das
lastenfreie Eigentum des überbauten Grundstücks an den Verpflichteten ab-
treten; bis die Kapitalzahlung erfolgt, ist die Rente fortzuleisten (912 II, 915).
b) Der Entschädigungsanspruch steht dem jeweiligen Eigentümer des über-
bauten Grundstücks zu (913).
T) Die Entschädigungspflicht ruht auf dem Grundstück, von dem der über-
bau ausgegangen ist; sie geht allen andern Lasten dieses Grundstücks vor,
auch den älteren; im Grundbuch wird sie nicht eingetragen (914 I, II).
d) Sie erlischt, sobald der Überbau tatsächlich beseitigt wird (914 ).
3. Der Anspruch auf die Entschädigungsrente zu 2 gilt nicht bloß zu gunsten des
Eigentümers des überbauten Grundstücks, sondern auch zugunsten derer, die ein Erbbau-
recht oder eine Dienstbarkeit an diesem Grundstück haben (916). Dagegen haben sonstige
dinglich Berechtigte einen eignen Entschädigungsanspruch nicht.
4. Wird der Überbau von einem andern als dem Eigentümer des Grundstücks, von
dem der Uberbau ausgeht, ausgeführt, so gelten die Regeln von 1—3 nicht.? Wie sollte auch
dadurch, daß z. B. der Pächter eines Grundstücks den Uberbau vornimmt, das Pachtgrund-
stück dinglich beschwert werden können?
5. Analoge Vorschriften sind anzuwenden, wenn ein Eigentümer auf seinem eignen
Grund und Boden baut, sofern er dabei das Recht eines Dritten auf Unterlassung eines
solchen Baus verletzt.
V. 1. Der Eigentümer eines Grundstücks, dem die zur ordnungsmäßigen
Benutzung erforderliche Verbindung mit einem öffentlichen Wege fehlt, kann
von den Nachbarn fordern, „daß sie bis zur Hebung des Mangels die Be-
nutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden“,
d. h. daß sie ihm einen Notweg gewähren (917 Satz 1).11
Das Notwegrecht kann landesrechtlich dahin verstärkt werden, daß der Berechtigte, auch
wenn er bereits mit einer Fahrstraße in Verbindung steht, außerdem eine brauchbare Ver-
bindung mit einer Wasserstraße oder Eisenbahn fordern kann (EG. 123). Wie es scheint,
haben die Landesgesetze von dieser Ermächtigung bisher keinen Gebrauch gemacht.
8) Wolff, Bau auf fremdem Boden (00). Siehe RE. 47 S. 117, 52 S. 16.
9) Biermann Anm. 1 zu § 912.
10) Abw. R. 47 S. 356, 48 S. 265. Siehe auch RG. 52 S. 16.
11) Rüdenberg, Notwegrecht (05); Endemann in der Festschrift für Gierke (11).