158 Buch III. Abschnitt 3. Das Eigentum.
2. Der Notweg bedarf einer Konstituierung; denn sonst bliebe sein Um-
fang und seine Richtung zweifelhaft, und ewiger Streit würde die Folge sein.
Und zwar erfolgt die Konstituierung nicht durch einseitige Entscheidung des
Wegeberechtigten oder Wegepflichtigen, sondern durch Vertrag oder gerichtliches
konstitutives 12 Urteil.
Das durch Vertrag oder Urteil konstituierte Wegerecht wird im Grundbuch nicht ein-
getragen. Dennoch hat es dingliche Kraft wie eine eingetragene Wegegerechtigkeit; nur ent-
behrt es des Besitzschutzes, da eine analoge Anwendung von BGB. 1029 auf nicht eingetragene
Wegerechte unzulässig ist (s. unten S. 196).
Unter mehreren über die Grundstücke verschiedener Eigentümer führenden Wegrichtungen
hat der Berechtigte die Auswahl. Er muß die Auswahl aber nach billigem Ermessen treffen;
denn er hat nicht irgendeine beliebige, sondern nur die „erforderliche“ Verbindung mit der
öffentlichen Straße zu verlangen.
3. Das Recht auf den Notweg versagt, wenn die Absperrung eines Grund-
stücks von der öffentlichen Straße durch eine willkürliche Handlung des Eigen-
tümers, insbesondre durch grundlosen Verzicht auf eine ihm vertragsmäßig be-
stellte Wegegerechtigkeit, herbeigeführt ist (918 D.
Doch gilt gerade für den wichtigsten hierher gehörigen Fall eine Ausnahme: wird von
einer dem nämlichen Eigentümer gehörigen Grundstücksfläche, die bis jetzt an die Straße
grenzte, das „Verbindungsstück"“, d. h. der gesamte die Straße berührende Streifen, abge-
zweigt, indem der Eigentümer es veräußert und das nunmehr von der Straße abgesperrte
Restgrundstück behält oder umgekehrt, so verbleibt dem Eigentümer des Restgrundstücks sein
Anspruch auf einen Notweg; allerdings wird der Anspruch dahin beschränkt, daß er nur
gegen den Eigentümer jenes ehemaligen Verbindungsstücks, nicht auch gegen die andern
Nachbarn geht (918 11).
4. Der Notwegberechtigte hat den Notwegpflichtigen zu entschädigen. Die
Entschädigung geschieht in gleicher Art wie beim Überbau, nur daß sie stets.
in Rente, nicht in Kapital zu leisten ist (917 II).
VI. Landesrechtlich kann bestimmt werden, daß ein Grundstückseigentümer,
der eine Baulichkeit hart an der Grenze besitzt, zwecks einer notwendigen Aus-
besserung des Baus das Nachbargrundstück betreten und dort sogar ein Gerüst
errichten darf (Gammerschlags= oder Leiterrecht); eine derartige Be-
stimmung findet sich namentlich im hessen-darmstädtischen Recht, während sie
in Altpreußen nur für die Ausbesserung von Planken gilt (EG. 124; hess.
AusfGes. 83; pr. LR. 1 8 § 155). Ingleichen kann landesrechtlich bestimmt
werden, daß bei der Bestellung landwirtschaftlicher Grundstücke eine mäßige
Grenzüberschreitung, namentlich zum Wenden des Pfluges, statthaft ist (, An-
wenderecht"); eine derartige Bestimmung findet sich in einigen Teilen
Bayerns (EG. 124; bayr. AusfGes. 76,79), Thüringens (AusfGes. Weimar 115) usw.
VII. 1. a) Nach Reichsrecht muß der Nachbar Bäume in der Nähe
der Grenze“ dulden, wenn sie mit allen ihren Teilen jenseits der Grenze
12) Abw. Biermann Anm. 2 zu § 917.
13) A. Schmidt, Recht des Überhangs und Uberfalls (86); Ortloff, Arch. f. BR. 17
S. 234.