162 Buch III. Abschnitt 3. Das Eigentum.
deklaratorisch: sie stellt fest, wo die Grenze bisher gegangen ist, ohne irgend
etwas an dem vielleicht sehr unzweckmäßigen Grenzzuge ändern zu dürfen.
b) Zweiter Fall: keine der Parteien weist dem Gericht den richtigen Zug
der Grenzlinie nach (sog. Grenzverwirrung). Dann ist die Entscheidung
des Gerichts eine konstitutive: da sie die alte Grenze nicht finden kann, schafft
sie eine neue; sie verordnet, wo die Grenze in Zukunft gehn soll. Selbst-
verständlich darf aber das Gericht hierbei nicht willkürlich verfahren. Vielmehr
soll es alle ihm nachgewiesenen Umstände berücksichtigen, die zugunsten einer
Partei sprechen; in Ermanglung solcher Umstände ist der jüngste fehlerfreie 1½
Besitzstand beider Parteien maßgebend; ist auch dieser nicht zu ermitteln, so
ist die Grenze so zu ziehn, daß jede Partei die Hälfte der streitigen Fläche
erhält (s. 920).
Beispiel. Ein Majoratsherr hat vor Zeiten zu seinem Majorat Haus Neindorf ein
Allodialgut Haus Hoym zugekauft und beide Güter gemeinsam bewirtschaftet; das gleiche
taten die späteren Majoratsherren; nach zwei Jahrhunderten teilt sich die Majorats= und
die Allodialerbschaft, und niemand weiß jetzt, wo die Grenze zwischen Haus Neindorf und
Haus Hoym geht; doch ergeben die Wirtschaftsrechnungen der ältesten Zeit, daß Haus Hoym
ein ganz kleines Gut gewesen sein muß. Hier darf das Gericht mit souveräner Freiheit die
Grenze so ziehn, daß auf Haus Hoym ½0 des Gesamtareals entfällt.
An die Parteianträge ist das Gericht im Fall b nicht gebunden; das ergibt sich aus.
dem Wesen „konstitutiver“ Gerichtsbarkeit.
Das konstitutive Grenzurteil ist auch gegenüber dritten Personen wirksam, die an dem
Prozeß nicht teilgenommen haben, z. B. gegenüber den Hypothekengläubigern. Doch ist
dabei vorausgesetzt, daß das Urteil zwischen den Eigentümern der anstoßenden Grundstücke
ergangen ist 26 und daß wirklich eine Grenzverwirrung vorlag. Demnach entbehrt das Urteil
beispielsweise der konstitutiven Kraft, wenn das streitige Grenzstück im Eigentum eines.
Dritten stand oder wenn nachträglich der richtige Grenzzug ermittelt wird. 71
Auf Grund des Grenzurteils ist der Steuerkataster und ihm folgend auch das Grund-
buch zu berichtigen. Doch ist diese Richtigstellung ohne privatrechtliche Bedeutung: auch das
im Grundbuch nicht eingetragne Grenzurteil ist dinglich vollwirksam.
2. Ist die Grenze unstreitig oder ist sie durch Urteil festgestellt oder kon-
stitutiv bestimmt, so kann jeder Eigentümer, nötigenfalls im Prozeßwege, fordern,
daß sie unter Mitwirkung des Nachbars auf gemeinsame Kosten durch feste
Grenzzeichen (Abmarkung) äußerlich erkennbar gemacht werde (919).
Über die Art der Abmarkung entscheidet das Landesrecht oder die Ortssitte. In
Preußen kann jeder Beteiligte die Zuziehung eines Notars oder des Amtsgerichts fordern,
aber, wie es scheint, auf seine alleinigen Kosten (pr. LR. I, 17 88 362 ff; pr. AusfGes. 89
Nr. 1; pr. Fr Ges. 31). — Die Abmarkung hat keine konstitutive Kraft, sondern kann jeder-
zeit von jedem Interessenten durch Gegenbeweis gebrochen werden.
XIV. Die nachbarrechtlichen Ansprüche auf Beseitigung unzulässiger An-
lagen jenseits der Grenze, auf Gewährung des Notweges, auf Grenzfeststellung
und Grenzabmarkung sind unverjährbar (s. 924).
19) Biermann, Anm. 2 zu § 920, Höniger S. 101.
20) Höniger S. 96. Abw. Dernb. BR. 3 § 87°.
21) Abw. Höniger S. 106.