5 215. Alteres Recht. 179
II. 1. a) Schon im Mittelalter findet sich die Regel, daß eine rechts-
geschäftliche Grundstücksübereignung gültig nur durch einen Formalakt vor
einer bestimmten allein zuständigen Behörde (Gericht, Stadtrat) vorgenommen
werden kann. Ebenso wird bereits im Mittelalter hier und da vorgeschrieben,
daß die Ubereignung in öffentliche Bücher einzutragen ist und erst durch diese
Eintragung dinglich wirksam wird.
b) In diese Rechtsentwicklung griff die Rezeption störend ein; sie brachte
den spätrömischen Satz ins Land, daß man ein Grundstück durch formlose
Besitzübergabe (traditio) übereignen könne, gerade wie ein Stück Vieh.
) Seitdem hat unsre Gesetzgebung zwischen dem heimischen und dem
fremden Recht geschwankt, indem sie sich bald dem einen, bald dem andern
zuwandte, bald eine Vermittlung zwischen beiden versuchte, bald ganz selb-
ständig vorging. Die Folge war eine seltsame Rechtszersplitterung.
a) Dem heimischen Recht folgte fast ganz Norddeutschland, freilich erst in
neuerer Zeit, Preußen erst seit den Gesetzen vom 5. Mai 1872.
68) Dem rönmischen Recht folgte ein immer mehr zusammenschmelzender
Teil Norddeutschlands, zuletzt nur noch ein Teil Mecklenburgs.=
)) Vermittelnd schrieb Bayern und Württemberg vor: es ist, wie in
Rom, die Besitzübergabe nötig; sie genügt aber nicht, sondern es muß ihr ein
notarieller oder schriftlicher Ubereignungsvertrag hinzutreten "; und auch wenn
dieser Vertrag hinzukommt, gewährt die Besitzübergabe nur unvollkommenes
Eigentum, da sie dem Erwerber nicht die Macht gibt, Hypotheken an dem
Grundstück zu bestellen; soll der Eigentümer auch diese Macht bekommen, so
ist er als Eigentümer in die öffentlichen Bücher einzutragen.
Noch anders endlich war das — übrigens im rheinischen Rechtsgebiet
landesgesetzlich mehrfach abgeänderte — französische Recht: zur Grundstücks-
übereignung bedarf es weder der Eintragung im Grundbuch noch der Besitz-
übergabe, sondern es genügt ein formloser Vertrag; doch ist dieser Vertrag
gegenüber Dritten so lange nur beschränkt wirksam oder ganz unwirksam, als
der Erwerber nicht in das „Transkriptionsregister“ eingetragen ist.
2. Der Erwerb des Eigentums an Grundstücken durch Aneignung erfolgte
im bisherigen Recht meist formlos mittels Inbesitzuahme des Grundstücks.
Ob die Aneignung jedermann oder nur dem Fiskus oder sonstigen Privilegierten
zustand, war verschieden bestimmt."
3. a) Der Erwerb des Grundstückseigentums durch Buchersitzung führt
auf den altdeutschen Satz zurück, daß, wer ein Grundstück kraft formgerechter
Auflassung in Besitz genommen hat, nach Ablauf gewisser Zeit eine „rechte
Gewere“ an dem Grundstück gewinnt und damit gegen alle Ansprüche Dritter
2) Gierke, D. PrR. 2 S. 275, 280; Hübner S. 216.
3) Roth 3 S. 316.
40 St-Lehmann 2 8 80.
5) Roih 3 S. 322. 6) Roth 3 S. 219, 221, 222.
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