Object: Gesetzsammlung für das Fürstenthum Reuss Jüngerer Linie. Dreiundwanzigster Band. 1899. (23)

50 Allgemeine Gerichtsordnung — Allgemeine Gütergemeinschaft. 
zesse. Da die Klagen über Rechtsver- 
zögerung fortdauerten, befahl Friedrich 
der Große durch Verordnung vom 15. Ja- 
nuar 1775, eine ganz neue Prozeßordnung 
zu entwerfen, die auf dem Grundsatze der 
mündlichen Verhandlung beruhen sollte. 
Den letzten Anstoß hierzu hatte der be- 
kannte Müller Arnoldsche Prozeß (s. d.) 
gegeben. Es erschien das Corpus juris 
Fridericianum, erstes Buch von der Pro- 
zeßordnung, und wurde durch Publika- 
tionspatent vom 26. April 1781 als Ge- 
setzbuch eingeführt. Dies sollte der An- 
fang einer vollständigen, auch das ma- 
terielle Recht umfassenden Gesetzge- 
bung sein. 1792 wurde es umgearbeitet, 
unter dem Titel „Allgemeine Gerichtsord- 
nung für die preußischen Staaten‘ her- 
ausgegeben und durch Publikationspatent 
vom 6. Juli 1793 zur Befolgung vorge- 
schrieben. Der 2. und 3. Teil wurden erst 
1795 fertig. Die Veröffentlichung der 
AGO selbst trägt kein Datum. 
Die AGO zerfällt in 3 Teile. Der 1. Teil, 
Prozeßordnung, regelt den Zivilprozeß im 
weitesten Sinne, einschließlich des Kon- 
kurses und der Subhastation, in 52 Titeln, 
die zum Teil wieder in Abschnitte zerfal- 
len. Der 2. Teil handelt in 6 Titeln von dem 
gerichtlichen Verfahren in nicht streitigen 
Angelegenheiten, der 3. Teil in 8 Titeln 
von den Pflichten der bei der Justiz ange- 
setzten Personen — einschließlich der 
Justizkommissarien und Notarien. Eine 
Einleitung enthält Definitionen, Vor- 
schriften über die Pflicht des Richters zur 
Ermittelung der Wahrheit von Amts 
wegen (Inquisitionsmaxime statt der bis- 
herigen Verhandlungsmaxime), Pflicht 
der Parteien zum Erscheinen und zur Aus- 
sage der Wahrheit, Strafen des Leugnens, 
Beistände und Bevollmächtigte, Gang des 
Verfahrens und Instanzen. Eine Beilage 
enthält ein allgemeines Registratur- und 
Kanzelleireglement. 
Die AGO wurde für den ganzen Staat 
eingeführt, in den später erworbenen Lan- 
desteilen alsbald nach der Besitznahme. 
Nicht eingeführt ist sie aber im Appella- 
tionsgerichtsbezirk Greifswald, im Bezirk 
des Justizsenats Ehrenbreitstein und im 
Appellationsgerichtsbezirk Köln. 
Durch Patent vom 4. Februar 1815 wur- 
den die bis dahin bewirkten Abände- 
rungen, Ergänzungen und Erläute- 
rungen als Anhang zur AGO für die 
preußischen Staaten publiziert. Die AGO 
  
wurde auch später durch zahlreiche Ver- 
ordnungen in einzelnen Punkten geän- 
dert. Ihre Grundlage und Maxime 
wurde wesentlich verändert durch die Ver- 
ordnungen über den Mandats-, den sum- 
marischen und BagatellprozeB vom 
1. Juni 1833 nebst Instruktion vom 
24. Juli 1833 und über das Verfahren in 
Zivilprozessen vom 21. Juli 1846. Dazu 
kamen die Verordnung vom 2. Januar 
1849 betreffend Aufhebung der Privatge- 
richtsbarkeit und des eximierten Ge- 
richtsstandes und die Konkursordnung 
vom 8. Mai 1855. Durch die Justizgesetze 
des Deutschen Reiches, namentlich die Z 
und das G, wurde die AGO fast voll- 
ständig beseitigt. 
A b egg Versuch einer Geschichte der preußischen Zivil- 
18148; Koch Lehrbuch des preußischen 
gemeinen Privatrechts I 68 6, 9; Koch Preußens Rechts- 
verfassung S.3f; Koch Der "preußische Zivilprozeß $ 9; 
Förster-Eccius Preuß. Privatrecht I 65 1-3; Dernburg 
Preuß. Privatrecht I $8 8-6, 13; Basch AGO; Vierhaus 
AGO. Land£. 
Allgemeine Gütergemeinschaft. 
Die allgemeine Gütergemeinschaft ist 
diejenige Form des ehelichen Güterrech- 
tes, bei welcher das gesamte Vermögen 
beider Ehegatten, sowohl das vor wie das 
während der Ehe erworbene, zu einer ge- 
meinsamen Masse vereinigt (Gesamtgut) 
und grundsätzlich die Haftung des einen 
Ehegatten für die Schulden des anderen 
begründet wird. Von allen Systemen des 
ehelichen Güterrechtes übt dieses auf die 
Vermögensverhältnisse der Ehegatten den 
größten Einfluß aus, es wird vielfach als 
die idealste Form des ehelichen Güter- 
rechtes betrachtet in der Erwägung, daß 
nach dem sittlichen Wesen der Ehe die 
dadurch begründete volle Lebensgemein- 
schaft der Ehegatten auch in vermögens- 
rechtlicher Beziehung zum Ausdruck kom- 
men müsse. Die juristische Konstruktion 
einer solchen materiellen Eigentumsge- 
meinschaft an den ehelichen Gütern ist in 
verschiedener Weise versucht worden: 
man hat zugrunde gelegt die Idee des so- 
genannten Gesamteigentums, die der So- 
zietät oder der juristischen Person, ferner 
den Begriff der Rechtsgemeinschaft zu 
ideellen Teilen. Ausgeschlossen von der 
Gemeinschaft sind durchweg nach den 
zahlreichen Partikularrechten, welche bis 
zum Inkrafttreten des B in Geltung waren, 
Güter, die der freien Verfügung des Ei- 
gentümers entzogen sind, ferner solche, 
die als Sondergut oder als Einhandsgut 
erklärt wurden, sei es durch die Ehegat- 
ten selbst, sei es durch Dritte bei der Zu-
	        
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