Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

388 Buch IV. Das Recht der Urkunden. 
die Gegenpartei es unterläßt, sie binnen einer eng bemessenen Frist anzunehmen, 
besteht für den Antrag des Ausstellers einer Inhaberschuldverschreibung eine 
solche Annahmefrist nicht: noch nach Jahren bleibt er annahmefähig. 
5) Während die meisten andern Vertragsanträge weiter nichts als Ver- 
tragsanträge sind und deshalb wirkungslos werden, wenn sie zu keinem Ver- 
tragsschluß führen, kann der Antrag des Ausstellers einer Inhaberschuldver- 
schreibung verpflichtende Kraft gewinnen, ohne daß es zu einem Vertragsschluß 
kommt, insbesondre dann, wenn jemand das Eigentum der Schuldverschreibung 
auf nicht rechtsgeschäftlichem Wege gewinnt. Insofern enthält der Antrag zu- 
gleich eine den Aussteller einseitig verpflichtende Willenserklärung. 
Beispiele. I. Die Reichsbank hat am 1. Oktober 1900 einen neuen Tausendmarkschein 
ausgestellt, in dem sie sich verpflichtet hat, dem Überbringer des Scheins 1000 Mk. in Gold 
zu zahlen, und hat diesen Schein sofort einem Kunden, dem sie 1000 Mk. schuldig war, zur 
Begleichung der Schuld übergeben; nachdem dieser Schein jahrelang von Hand zu Hand ge- 
gangen, wird er am 1. Oktober 1912 von dem damaligen Inhaber A. dem B. geschenkt und 
sofort von B. dem C. als Darlehn weitergegeben. Hier ist auf Grund des von der Reichs- 
bank am 1. Oktober 1900 gestellten Vertragsantrages am 1. Oktober 1912 ein neuer zwei- 
maliger Vertragsschluß zwischen der Reichsbank und B. und zwischen der Reichsbank und 
C. zustande gekommen. Denn jener Vertragsantrag war ja an alle künftigen Inhaber des 
Scheins, also auch an B. und an C., gerichtet; und indem B. den Schein von A. und C. 
den Schein von B. erwarb, hat er damit zugleich jenen Vertragsantrag der Reichsbank 
rechtswirksam angenommen, obschon B. seine Annahmeerklärung nur an A., C. sie nur an 
B. richtete und die Reichsbank nicht einmal nachträglich eine Mitteilung davon erhält und 
obschon nicht weniger als zwölf Jahre zwischen der Stellung und der Annahme des An- 
trages liegen. II. 1. D. in M. will eine öffentliche Anleihe aufnehmen und stellt zu diesem 
Zweck eine große Reihe von Anleihescheinen auf den Inhaber aus, die der Bankier E. in 
N gegen eine Provision von 2% allmählich für D.s Rechnung an seine Kunden absetzen 
soll; eben will D. die Scheine an E. mit der Post absenden, als sich herausstellt, daß er und 
E. über die Berechnung der Provision nicht einig sind: D. hält die Scheine deshalb zurück; 
als die Einigung mit E. nachträglich zustande kommt, entdeckt D., daß inzwischen einige 
Scheine gestohlen und von dem Diebe F. an den gutgläubigen Bankier G. in M. veräußert 
sind. Hier ist zwischen dem Aussteller D. und dem Erwerber G. ein gültiger Vertragsschluß 
erfolgt; denn D. hat seinen Vertragsantrag schon dadurch rechtswirksam vollendet, daß er 
die Papiere gültig ausstellte, und G. hat den Antrag durch den Erwerb der Scheine ebenso 
rechtswirksam angenommen. Daß die Scheine von D. nicht freiwillig ausgegeben, sondern 
ihm vor der Ausgabe gestohlen sind, macht nichts aus. 2. Derselbe Fall; nur hat D. so- 
fort, als er den Diebstahl entdeckte, — weil er sicher voraussah, daß die Scheine gerade dem 
G. zum Kauf angeboten werden würden — diesem angezeigt, daß er seinen in den ge- 
stohlenen Scheinen enthaltenen Vertragsantrag widerrufe; G. hat den Widerruf erhalten, 
noch ehe er die Scheine erwarb; er hat sich aber von dem Erwerbe nicht abhalten lassen, 
weil er ohne Fahrlässigkeit annahm, die Angabe des D., daß die Scheine ihm gestohlen seien, 
sei erlogen und F. sei ehrlich in ihren Besitz gelangt. Hier ist die Entscheidung dieselbe wie 
zu 1; denn der Widerruf des D. hat rechtlich nichts zu bedeuten. III. Durch einen Zu- 
fall sind die Reichsbanknoten des J. und seines Mündels K., die J. getrennt voneinander 
aufbewahrte, so durcheinander gekommen, daß sie nicht mehr voneinander unterschieden werden 
können. Hier ist die Reichsbank aus den vormaligen Scheinen des J. sofort — also noch 
ehe J. oder K. den Vorfall bemerken — auch dem K. verpflichtet, obschon keine Rede davon 
sein kann, daß der in diesen Scheinen enthaltene Vertragsantrag der Reichsbank von K. an- 
genommen worden ist. 
1) Vgl. Langen, Kreationstheorie S. 53.
	        
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