390 Buch IV. Das Recht der Urkunden.
man sich dem an, so hat man jede Fiktion vermieden und gelangt doch genau zu den von
mir oben zu 1 entwickelten Ergebnissen.
Hiernach erscheinen die von mir verwendeten Fiktionen im Grunde überflüssig. Dennoch
halte ich an ihnen fest, nicht weil sie mir persönlich zusagen, sondern weil sie nun einmal
zu der herrschenden Methode unfrer Gesetzgebung passen. Man vergleiche z. B. die Regel
des Handelsgesetzbuchs, daß gewisse an einen Kaufmann gerichtete Anträge beide Parteien
binden, wenn sie von dem Antragsempfänger nicht rechtzeitig abgelehnt sind (H#GB. 362).
Hier tritt die Bindung nicht selten ein, obschon feststeht, daß der Empfänger den Antrag
tatsächlich nicht angenommen, sondern die Ablehnung bloß vergessen hat, so daß ein Rechts-
geschäft des Empfängers überhaupt nicht vorliegt. Man müßte also, wenn man genau sein
will, sagen, daß in diesem Fall ein Vertrag nicht zustande gekommen sei, vielmehr der An-
tragsteller durch einseitiges Rechtsgeschäft, der Empfänger aber kraft Gesetzes verpflichtet werde.
Statt dessen entspricht es der allgemein angewendeten juristischen Technik, daß man den Ver-
tragsschluß „fingiert".“
Die Theorie, die den Einfluß von Willensmängeln bei Ausstellung einer Inhaber-
schuldverschreibung zum Nachteil des Ausstellers beschränkt, hat gesetzgeberisch sehr viel für
sich; wie verfehlt die gegenteilige Lehre ist, zeigen die von mir unten S. 397 gegebenen
Beispiele. Dennoch glaube ich, daß sich jene Theorie nach dem Stande der jetzigen Gesetz-
gebung nicht rechtfertigen läßt: die §§ 116 ff. stehn nun einmal im allgemeinen Teil des
BeB. und machen zwar z. B. für die Eheschließung, nicht aber für die Ausstellung von
Inhaberschuldverschreibungen eine Ausnahme.
III. Ist die Schuldverschreibung auf die Zahlung einer bestimmten Geld-
summe gerichtet, so bedarf, falls die Ausstellung im Inlande geschieht, die Aus-
gabe der Urkunde staatlicher Genehmigung (795 1). Ein ohne staatliche Ge-
nehmigung ausgegebenes Inhaberpapier ist nichtig; der Aussteller hat aber
dem Inhaber den Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Ausgabe erwachsen
ist (s. 795 IID.
Auch diese Haftung trifft den Aussteller, nicht weil er die Inhaberschuldverschreibung
ausgegeben, sondern weil er sie ausgestellt, greift also auch dann Platz, wenn die Papiere
ihm vor der Ausgabe gestohlen sind.?
Ortlich zuständig scheint nach dem Wortlaut des Gesetzes die Behörde zu sein, in deren
Gebiet der Aussteller seinen Wohn= oder Geschäftssitz zur Zeit der „Ausgabe“ der Urkunde
hat (s. 795 I, II). Doch ist das wohl nur eine Ungenauigkeit im Ausdruck des Gesetzes, da
dieser Zeitpunkt bloß einem kleinen Teil der Interessenten bekannt wird. In Wahrheit wird
vielmehr der Zeitpunkt der „Ausstellung“ der Urkunden maßgebend sein. Ist dies aber der
Fall, so ist weiter zu sagen, daß nicht erst die Ausgabe, sondern schon die Ausstellung der
staatlichen Genehmigung bedarf.
Sachlich zuständig ist in Preußen das Ministerium, jedoch nur kraft besondrer könig-
licher Ermächtigung (preuß. V. v. 16. Nov. 99 Art. 8).
c) Das Sachenrecht der Inhaberschuldverschreibung. 1
8 257.
I. Das Sachenrecht der Inhaberschuldverschreibung wird von dem
Grundsatz beherrscht, daß die Schuldverschreibung, als körperlicher Gegenstand
6 Igl. aber Manigk, S. 400.
7) Abw. Ortmann, Anm, 4e zu § 795; Jacobi, Wertpapiere als L. (06) S. 30.
1) Deumer, Geldvollstreckung in Wertpapiere (08).